Wild schlägt
der Lenker von rechts nach links und die Federbeine der schweren Tourenmaschine
ächzen unter den Schlägen tellergroßer Steine. Immer
wieder springt das Hinterrad in die Höhe, verliert den Bodenkontakt
und der Motor heult gequält auf, während die Telegabel mit
dem Verarbeiten der Unebenheiten nicht mehr nachkommt. Um ein Beschlagen
zu verhindern, ist mein Visier längst weit geöffnet, damit
dem heißen Atem ein Entweichen möglich ist. Gierig saugen
sich die Augen auf dem grob geschotterten Untergrund fest und suchen
den einfachsten Weg für die Räder. Längst ist das T-Shirt
unter der Lederkombi total durchnäßt und ich habe das Gefühl,
als würde mein Schweiß in wahren Sturzbächen entlang
des Gesäßes die Beine hinab rinnen und sich in beiden Stiefeln
sammeln. Erste Zweifel an diesem Unternehmen werden laut, warum mußte
ich mich nur auf so eine Aktion einlassen? |
Das gewaltige Pasubio-Massiv und die Auffahrt
zur Heldenstraße.
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Begonnen hatte alles, als uns befreundete Endurofahrer
stolz von ihren abenteuerlichen Fahrten in Italien erzählten,
besonders von denen im Raum Gardasee. Und daß uns "armen"
Straßenfahrern derartig imposante Landschaften verwehrt bleiben
würden. Nun, daran sollte es nicht scheitern, immerhin sah meine
Yamaha XJ 900 mit dem Kosenamen "Mega-Tenéré"
schon die Dünen der Sahara, in Europa Schotteretappen der Seealpen,
der Pyrenäen, die 3.400 m hohe Sierra Nevada oder den Bosporus.
Als auch andere fernwehgeplagten Club-Mitglieder auf ihren BMW K 100
LT, Honda VFR 750 "Alpina Queen" und als einzige echte Enduro
eine BMW R 100 GS Interesse zeigten mitzufahren, hatte der Ehrgeiz
bereits gesiegt, wir würden es diesen Enduristen schon zeigen.
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»Strada degli Eroi Generali Papa«,
die Straße der Helden
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Und jetzt ackern wir uns seit der Abzweigung vom
Passo Pian delle Fugazze im Vallarsatal auf dem ehemaligen Kriegssträßchen
bergwärts, der "Strada degli Eroi Generali Papa", der
Straße der Helden, ernannt nach ihrem Erbauer und damaligen
Abschnittskommandanten. Deren Bau wurde zwar 1916 begonnen, aber nach
dem Kriegsende 1918 wieder eingestellt. Erst 20 Jahre später
führte sie durchgehend bis zur Porte del Pasubio. "Divieto
di Transito" hatte zu Beginn noch eine Tafel gewarnt, was in
Italien aber nur "Auf eigene Gefahr" heißt. Immer
wieder treffen wir auf Wanderer, die ganz anders als erwartet reagieren.
Freundlich winkend treten sie zur Seite, lächeln und werfen verwunderte
Blicke auf unsere schweren Straßenboliden. Nach einiger Zeit
erreichen wir ein kleines Plateau, das einem Tunnel mit dem Namen
Galeria Gen. d´Havet vorgelagert ist. Das Portal mit einem Schranken
versehen ist für Autos unpassierbar, Motorräder kommen problemlos
daran vorbei. Eine kurze Pause nutzen wir zum Verschnaufen und durchschreiten
den Tunnel. Obwohl es erst Frühherbst ist, hängen Eiszapfen
weit herab von der Decke. Die längsten schlagen wir vorsichtshalber
ab. Dann treten wir auf der anderen Seite ins Freie und es verschlägt
uns den Atem. Fast senkrecht steigt das Pasubiomassiv vor uns in die
Höhe, nahezu senkrecht fällt es auch ab ins Val Canale.
Das bißchen Platz, das in der Vertikalen noch übrig bleibt,
ist für die Straße der Helden. |
Schmal und eng an den Felsen geschmiegt und mit
haarsträubend engen Kehren.
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Wir spucken in die Hände, werfen unsere schweren
Tourer an und fahren durch den Tunnel. Was dann folgt ist nichts für
ängstliche Naturen, wenn es gilt notfalls auch hart am Abgrund
zu balancieren oder sich bei Gegenverkehr aneinander vorbeizutasten.
Manche Kehren sind so eng, daß wir den Radius in einem Zug nicht
durchfahren können. Dann heißt es mitten in der Kurve stehenbleiben,
was ein sofortiges Zurückrutschen auf dem losen Schotter nach
sich zieht. Wenn dann die Kehre durchfahren ist und ich eine Spur
zu viel Gas gebe, quittiert dies der Hinterreifen mit meterhohen Steinfontänen.
Ein weiteres Problem ist die innere Überwindung, bis auf wenige
Zentimeter an den Abgrund zu fahren, nur um den größtmöglichen
Kurvenradius ausnützen zu können. Einfallende Wolkenfetzen
sind uns dabei behilflich, denn sobald die Sicht in die gähnende
Tiefe verwehrt ist, fährt man etwas unbeschwerter zum Straßenrand.
Dichter Nebel wechselt sich nun innerhalb kürzester Zeit mit
klaren Sichtverhältnissen ab. |
Loser Schotter und Geröllawinen.
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Speziell auf den letzten Kilometern bis zum Rif.
Porto del Pasubio ist die Straße aus der senkrechten Wand mit
Überhängen herausgesprengt, durchfahren wir enge, teilweise
ausgesetzte Kehren und schmale Tunnels. Darin hängen immer wieder
Eiszapfen bis in die Höhe unserer Helme herab. Manche brechen
nach leichter Berührung ab und zerbersten am Boden. Als eine
Geröllawine die Trasse versperrt, kommen wir nur mit gemeinsamer
Hilfe darüber. Je zwei ziehen, schieben, bzw. heben die Motorräder
mit Unterstützung des Fahrers und ausreichender PS über
das Hindernis. Spätestens jetzt haben unsere Boliden zumindest
100 kg und zwei Zylinder zuviel. Großes Erstaunen dann beim
Wirt des Rufugios, einem alten Alpini - wie man Italien die Gebirgsjäger
nennt. Enduros kämen oft herauf, aber schwere Vierzylindermaschinen
habe er noch nicht gesehen. Spontan lädt er uns zu einer Jause
ein, auf den obligaten Grappa verzichten wir vorsichtshalber und dann
beginnt er zu erzählen, was dieser Berg schon alles erlebt hat
und seit wann eine so imposante Straße herauf führt. |
Diesem Gebirgsstock kam im 1. Weltkrieg in der Zeit
von 1916-1918 eine Schlüsselstellung in dieser Region zu. Wie
sehr dieser Berg umkämpft war, bezeugt der k.u.k.-gebräuchliche
Beiname "Kaiserjägerhölle", als sich italienische
Alpini und österreichische Kaiserjäger gegenseitig unterminierten
und in die Luft sprengten. Man sollte sich unbedingt so wie wir die
Zeit nehmen, die "Österreicherplatte" und die "Italienerplatte"
- beide in der bereits 1922 gegründeten Zona Monumentale auf
dem Gipfelplateau etwas oberhalb des Rifugios - zu besichtigen. Unzählige
Lauf- und Schützengräben, Deckungskavernen und MG-Stellungen
liegen wie ein dichtes Netz über dem Plateau. Aufpassen muß
man allerdings bei einem Begehen der zahlreichen Stollen. In dem weit
verzweigten Labyrinth - speziell auf ehemals österreichischer
Seite - kann man sich leicht verirren! Teilweise glaubt man, die Kämpfe
wären erst vor kurzem beendet worden, soviel Material und Gerät
findet man noch in den Stollen und hier gilt: Hände weg von Munition,
sie könnte noch scharf sein!
Bei klarer Sicht hat man vom über 2.200 m hohen Gipfelplateau
eine herrliche Rundsicht zu den Hochflächen der Sieben Gemeinden,
zum ebenfalls historischen Monte Grappa, zur Malga Zonta und zum Ortigaramassiv
und in Richtung Gardasee bis zu den Gletschern der Adamello-Presanello-Gruppe.
Zurück bei der Hütte gehen wir noch kurz zum ehemaligen
Ausstieg eines der vielen ehemaligen Nachschubwege der Italiener,
der Strada Gallaria, die etwas oberhalb des Rif. Porto del Pasubio
endet. Sie kann nur zu Fuß begangen werden und zeigt, welche
Strapazen die Nachschubträger bei jedem Wetter, zu jeder Jahreszeit
auf sich nehmen mußten. Aber auch wie einfallsreich Nachschubwege
gegen Beschuß getarnt wurden. Auf 6,5 km durchwandert man 52
Galerien, an deren "Fenster" blickt man nicht selten fast
1.000 m senkrecht hinab ins Vallarsatal! |
Die »Strada Galeria« und die Abfahrt
über die »Strada degli Scarubbi«.
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Beeindruckt von soviel soldatischer Straßenbaukunst
machen wir uns fertig zur Abfahrt über die "Strada degli
Scarubbi". Diese wiederum wurde bereits während des Gebirgskrieges
fertiggestellt, sie diente den Italienern ebenfalls als Nachschubweg.
Da sie jedoch teilweise im Beschußfeld der Österreicher
lag, wurde alternativ in nur sechs Monaten die Strada Galeria gebaut.
Auch sie bietet immer wieder kolossale Ausblicke, vor allem auf die
Hochflächen der Sieben Gemeinden, ist aber bei weitem nicht so
atemberaubend wie die "Strada degli Eroi". Was nicht heißen
soll, daß sie einfach zu befahren ist. Zahlreiche enge Kehren,
die im Herbst keine Sonne mehr sehen, zwingen uns eine extrem vorsichtige
Fahrweise auf. Vor allem bei Nässe, Rauhreif oder Schneeresten
ist Vorsicht geboten, ganz schnell artet das Anbremsen einer Kehre
in eine Rutschpartie aus. Kurz darauf wandelt sich die felsige Umgebung
in saftige Almen und dann tauchen wir in den Wald ein, bald werden
wir wieder im Tal sein. Die sich nun öfter neben der Straße
befindlichen Krater und Tümpel markieren noch heute ersichtliche
Granattrichter, die sich im Laufe der Zeit mit Wasser gefüllt
haben. |
Drei Stunden, nachdem wir am Pian delle Fugazze auf
die Strada degli Eroi abgebogen sind, sitzen wir im Rifuggio Rif.
Tratt. Alpina am Passo Xomo auf der anderen Seite des Pasubiostockes
bei einem Cappuccino. Etwas geschlaucht, aber zugleich voller Stolz.
Wir bedauern nur, daß es keinen 170er Enduroschlappen für
die VFR gibt. Was hatten die Enduristen gesagt, solche Straßen
blieben uns verwehrt? Nun, diese hier haben wir gepackt und wer unseren
Ex-Präsi kennt, weiß, dass er seine Straßenboliden
noch öfters über derartige Offroad-Straßen geprügelt
hat. Obwohl er zuhause eine Honda Africa Twin stehen hätte. Und
nicht selten mußte er sich von vermeintlich eingefleischten
bundesdeutschen Enduristen mit einem "Na, wohl nich mit´m
richtichen Jerät hier" anreden lassen. |
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© Peter Winklmair |
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REISEINFORMATIONEN |
Geschichtliches: |
Südtirol und das Trentino, ja sogar der halbe
Gardasee gehörten bis 1918 zur Österreichisch-Ungarischen
Monarchie. Wie ein Stachel bohrten sich diese Provinzen in das Italienische
Königreich. Die Irredenta (eine Weg-von-Österreich-Bewegung)
wollte das Trentino schon Ende des vorigen Jahrhunderts Italien an-schließen,
was für ein Herrscherhaus wie der Habsburger völlig undiskutabel
war. Nur verlorene Kriege hießen Territorialverluste. Nach dem
Ausbruch des 1. Weltkrieges trat nun das vorerst neutrale Italien
1915 der Entente bei und erklärte Österreich-Ungarn den
Krieg. Bis 1918 rangen beide Länder erbittert vom Ortlermassiv
bis hinunter zum Isonzo im heutigen Slowenien, wobei die Österreicher
nach mehreren verlustreichen Offensiven immer weiter nach Italien
vordrangen. Nach dem Zusammenbruch der Habsburgmonarchie erhielt Italien
von den Siegermächten Südtirol, das Trentino, die Dolomiten
und Teile der Karnischen Alpen zugesprochen, eben so weit wie sie
den heutigen Grenzen Italiens und Österreichs entsprechen. |
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Reisezeit: |
Seit einigen Jahren ist die Pasubiostraße mit
einem totalen Fahrverbot belegt, versperrte Schranken verhindern zusätzlich
ein Zuwiderhandeln. Der Schlüssel heißt "Genehmigung".
Wie man zu der kommt, weiß der Autor dieser Story.
Sollte man also eine Genehmigung erhalten haben, empfiehlt sich als
Reisezeit der späte Frühling bis zum Spätherbst, als
Fahrtdauer eignet sich auch ein Wochenende. Es ist allerdings zu berücksichtigen,
daß manche Streckenabschnitte mit Naturfahrbahn im Frühjahr
noch nicht oder im Herbst nicht mehr schneefrei sind. Auch nach Regenperioden
ist mit Behinderungen oder gar Unpassierbarkeit zu rechnen.
Die Tour kann (bedingt) auch mit Straßenmaschinen bewältigt
werden, so wie wir es getan haben. Bei einigen Abschnitten sollte
man mit einem Straßenboliden allerdings schon ein großes
Maß an Routine und Schottererfahrung mitbringen. Immer wieder
versperren Geröllawinen knapp unter dem Rifugio Porto del Pasubio
die Straße, daher ist eine Befragung der Passierbarkeit unbedingt
notwendig.
Zum Begehen der Stollen empfehlen wir unbedingt die Mitnahme starker
Taschenlampen. |
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Einreisebestimmungen: |
In Zeiten der EU kein Thema. |
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Verkehrsvorschriften: |
Innerorts: 50 km/h
Außerorts: 90 km/h
Schnellstraße/Autobahn: Italien 100/130 km/h
Sturzhelm- und Abblendlichtpflicht. Bei einem Unfall immer die Polizei
verständigen! |
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Tankstellennetz: |
In Italien ist Benzin sehr teuer, Öffnungszeiten
der Tankstellen durchwegs bis 19 Uhr, am Land allerdings längere
Mittagspausen. |
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Unterkünfte: |
Außer den Campern empfehlen wir jedem nicht
in den großen Touristenzentren zu übernachten (z. B. direkt
am Gardasee). Nur wenige Kilometer abseits finden sich bereits herrliche
und vor allem kostengünstige Übernachtungsmöglichkeiten.
Nur 20 km von Rovereto kostete eine Übernachtung mit Frühstück
+ Abendessen in der Albergho Alla Lanterna in Foxi di Vallarsa Euro
35,- pro Person, deren Wirt Paolo obendrein selbst Motorradfahrer
ist. Zudem bieten die Alberghas meist auch eine kostenlose versperrbare
Unterbringung fürs Motorrad an. Und wenn einmal nicht, sollte
man gerade in Italien ausreichend Ketten und Schlösser mitführen!
Da einige Landstriche unserer besprochenen Tour bis 1918 zu Österreich-Ungarn
gehörten, wird noch heute teilweise deutsch gesprochen. |
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Pannenhillfen: |
Jeder Motorradfahrer sollte immer ein gewisses Quantum
an gutem Werkzeug mitführen, der Reifenpilot für die Schotteretappen
jedoch ist Pflicht! Sollte doch einmal etwas zu Bruch gehen, so kann
fast jede kleine Werkstatt helfen. Gerade die italienischen Mechaniker
sind wahre Meister im Improvisieren. In jeder größeren
Stadt gibt es zudem Markenhändler und -werkstätten. |
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Karten- und Geschichtsmaterial: |
Wir fuhren größtenteils mit der Kompaßkarte
Südtirol - Dolomiten im Maßstab 1:250.000. Bei den Schotteretappen
und bei den Besichtigungen zu Fuß verwendeten wir die Kompaß-Wanderkarten
1:50.000 .
Geschichtlich führten uns die "Schauplätze des Gebirgskrieges"
von W. Schaumann, sowie "Krieg in den Alpen 1915-18" von
H. Lichem und natürlich der altbewährte Denzel-"Alpenstraßenführer". |
© Peter Winklmair |
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