Ein Ungeheuer namens Pasubio
Im 1. Weltkrieg bekämpften sich die Armeen Italiens und Österreich-Ungarns erbittert über den gesamten Verlauf ihrer damaligen gemeinsamen Grenzen in den Alpen in bis zu 4.000 m Höhe. Ob in der Sommerhitze oder bei arktischen Temperaturen im Winter mußten Soldaten hoch oben in ihren Stellungen ausharren. Ihre reibungslose Versorgung stellte die Pioniere beider Seiten vor große Probleme. Aus diesem Grund entstanden oft abenteuerliche Nachschubwege, denn der einfachste und kürzeste Weg war nicht immer der sicherste. Einer der landschaftlich interessantesten ist am Gebirgsstock des Pasubiomassivs im Vallarsatal nahe des Gardasees angelegt, dessen zwei Gipfel nach der österreichisch-ungarischen Offensive 1916 in den Brennpunkt des Geschehens rückten und als eine der letzten Bastionen Italiens vor der großen Tiefebene galten. Wir fuhren - allerdings mit Straßenmaschinen - über diese "Straße der Helden".
Mittlerweile ist die Pasubiostraße mit einem allgemeinen Fahrverbot belegt. Zuwiderhandeln wird mit drakonischen Strafen geahndet, außer - man ist im Besitz einer behördlichen Genehmigung zum Befahren. Wie man so eine Genehmigung erhält, weiß der Autor dieser Zeilen.
© Autor, Fotos und Text: Peter Winklmair
 
Wild schlägt der Lenker von rechts nach links und die Federbeine der schweren Tourenmaschine ächzen unter den Schlägen tellergroßer Steine. Immer wieder springt das Hinterrad in die Höhe, verliert den Bodenkontakt und der Motor heult gequält auf, während die Telegabel mit dem Verarbeiten der Unebenheiten nicht mehr nachkommt. Um ein Beschlagen zu verhindern, ist mein Visier längst weit geöffnet, damit dem heißen Atem ein Entweichen möglich ist. Gierig saugen sich die Augen auf dem grob geschotterten Untergrund fest und suchen den einfachsten Weg für die Räder. Längst ist das T-Shirt unter der Lederkombi total durchnäßt und ich habe das Gefühl, als würde mein Schweiß in wahren Sturzbächen entlang des Gesäßes die Beine hinab rinnen und sich in beiden Stiefeln sammeln. Erste Zweifel an diesem Unternehmen werden laut, warum mußte ich mich nur auf so eine Aktion einlassen?
Das gewaltige Pasubio-Massiv und die Auffahrt zur Heldenstraße.
Begonnen hatte alles, als uns befreundete Endurofahrer stolz von ihren abenteuerlichen Fahrten in Italien erzählten, besonders von denen im Raum Gardasee. Und daß uns "armen" Straßenfahrern derartig imposante Landschaften verwehrt bleiben würden. Nun, daran sollte es nicht scheitern, immerhin sah meine Yamaha XJ 900 mit dem Kosenamen "Mega-Tenéré" schon die Dünen der Sahara, in Europa Schotteretappen der Seealpen, der Pyrenäen, die 3.400 m hohe Sierra Nevada oder den Bosporus. Als auch andere fernwehgeplagten Club-Mitglieder auf ihren BMW K 100 LT, Honda VFR 750 "Alpina Queen" und als einzige echte Enduro eine BMW R 100 GS Interesse zeigten mitzufahren, hatte der Ehrgeiz bereits gesiegt, wir würden es diesen Enduristen schon zeigen.
»Strada degli Eroi Generali Papa«, die Straße der Helden
Und jetzt ackern wir uns seit der Abzweigung vom Passo Pian delle Fugazze im Vallarsatal auf dem ehemaligen Kriegssträßchen bergwärts, der "Strada degli Eroi Generali Papa", der Straße der Helden, ernannt nach ihrem Erbauer und damaligen Abschnittskommandanten. Deren Bau wurde zwar 1916 begonnen, aber nach dem Kriegsende 1918 wieder eingestellt. Erst 20 Jahre später führte sie durchgehend bis zur Porte del Pasubio. "Divieto di Transito" hatte zu Beginn noch eine Tafel gewarnt, was in Italien aber nur "Auf eigene Gefahr" heißt. Immer wieder treffen wir auf Wanderer, die ganz anders als erwartet reagieren. Freundlich winkend treten sie zur Seite, lächeln und werfen verwunderte Blicke auf unsere schweren Straßenboliden. Nach einiger Zeit erreichen wir ein kleines Plateau, das einem Tunnel mit dem Namen Galeria Gen. d´Havet vorgelagert ist. Das Portal mit einem Schranken versehen ist für Autos unpassierbar, Motorräder kommen problemlos daran vorbei. Eine kurze Pause nutzen wir zum Verschnaufen und durchschreiten den Tunnel. Obwohl es erst Frühherbst ist, hängen Eiszapfen weit herab von der Decke. Die längsten schlagen wir vorsichtshalber ab. Dann treten wir auf der anderen Seite ins Freie und es verschlägt uns den Atem. Fast senkrecht steigt das Pasubiomassiv vor uns in die Höhe, nahezu senkrecht fällt es auch ab ins Val Canale. Das bißchen Platz, das in der Vertikalen noch übrig bleibt, ist für die Straße der Helden.
Schmal und eng an den Felsen geschmiegt und mit haarsträubend engen Kehren.
Wir spucken in die Hände, werfen unsere schweren Tourer an und fahren durch den Tunnel. Was dann folgt ist nichts für ängstliche Naturen, wenn es gilt notfalls auch hart am Abgrund zu balancieren oder sich bei Gegenverkehr aneinander vorbeizutasten. Manche Kehren sind so eng, daß wir den Radius in einem Zug nicht durchfahren können. Dann heißt es mitten in der Kurve stehenbleiben, was ein sofortiges Zurückrutschen auf dem losen Schotter nach sich zieht. Wenn dann die Kehre durchfahren ist und ich eine Spur zu viel Gas gebe, quittiert dies der Hinterreifen mit meterhohen Steinfontänen. Ein weiteres Problem ist die innere Überwindung, bis auf wenige Zentimeter an den Abgrund zu fahren, nur um den größtmöglichen Kurvenradius ausnützen zu können. Einfallende Wolkenfetzen sind uns dabei behilflich, denn sobald die Sicht in die gähnende Tiefe verwehrt ist, fährt man etwas unbeschwerter zum Straßenrand. Dichter Nebel wechselt sich nun innerhalb kürzester Zeit mit klaren Sichtverhältnissen ab.
Loser Schotter und Geröllawinen.
Speziell auf den letzten Kilometern bis zum Rif. Porto del Pasubio ist die Straße aus der senkrechten Wand mit Überhängen herausgesprengt, durchfahren wir enge, teilweise ausgesetzte Kehren und schmale Tunnels. Darin hängen immer wieder Eiszapfen bis in die Höhe unserer Helme herab. Manche brechen nach leichter Berührung ab und zerbersten am Boden. Als eine Geröllawine die Trasse versperrt, kommen wir nur mit gemeinsamer Hilfe darüber. Je zwei ziehen, schieben, bzw. heben die Motorräder mit Unterstützung des Fahrers und ausreichender PS über das Hindernis. Spätestens jetzt haben unsere Boliden zumindest 100 kg und zwei Zylinder zuviel. Großes Erstaunen dann beim Wirt des Rufugios, einem alten Alpini - wie man Italien die Gebirgsjäger nennt. Enduros kämen oft herauf, aber schwere Vierzylindermaschinen habe er noch nicht gesehen. Spontan lädt er uns zu einer Jause ein, auf den obligaten Grappa verzichten wir vorsichtshalber und dann beginnt er zu erzählen, was dieser Berg schon alles erlebt hat und seit wann eine so imposante Straße herauf führt.
Diesem Gebirgsstock kam im 1. Weltkrieg in der Zeit von 1916-1918 eine Schlüsselstellung in dieser Region zu. Wie sehr dieser Berg umkämpft war, bezeugt der k.u.k.-gebräuchliche Beiname "Kaiserjägerhölle", als sich italienische Alpini und österreichische Kaiserjäger gegenseitig unterminierten und in die Luft sprengten. Man sollte sich unbedingt so wie wir die Zeit nehmen, die "Österreicherplatte" und die "Italienerplatte" - beide in der bereits 1922 gegründeten Zona Monumentale auf dem Gipfelplateau etwas oberhalb des Rifugios - zu besichtigen. Unzählige Lauf- und Schützengräben, Deckungskavernen und MG-Stellungen liegen wie ein dichtes Netz über dem Plateau. Aufpassen muß man allerdings bei einem Begehen der zahlreichen Stollen. In dem weit verzweigten Labyrinth - speziell auf ehemals österreichischer Seite - kann man sich leicht verirren! Teilweise glaubt man, die Kämpfe wären erst vor kurzem beendet worden, soviel Material und Gerät findet man noch in den Stollen und hier gilt: Hände weg von Munition, sie könnte noch scharf sein!
Bei klarer Sicht hat man vom über 2.200 m hohen Gipfelplateau eine herrliche Rundsicht zu den Hochflächen der Sieben Gemeinden, zum ebenfalls historischen Monte Grappa, zur Malga Zonta und zum Ortigaramassiv und in Richtung Gardasee bis zu den Gletschern der Adamello-Presanello-Gruppe. Zurück bei der Hütte gehen wir noch kurz zum ehemaligen Ausstieg eines der vielen ehemaligen Nachschubwege der Italiener, der Strada Gallaria, die etwas oberhalb des Rif. Porto del Pasubio endet. Sie kann nur zu Fuß begangen werden und zeigt, welche Strapazen die Nachschubträger bei jedem Wetter, zu jeder Jahreszeit auf sich nehmen mußten. Aber auch wie einfallsreich Nachschubwege gegen Beschuß getarnt wurden. Auf 6,5 km durchwandert man 52 Galerien, an deren "Fenster" blickt man nicht selten fast 1.000 m senkrecht hinab ins Vallarsatal!
Die »Strada Galeria« und die Abfahrt über die »Strada degli Scarubbi«.
Beeindruckt von soviel soldatischer Straßenbaukunst machen wir uns fertig zur Abfahrt über die "Strada degli Scarubbi". Diese wiederum wurde bereits während des Gebirgskrieges fertiggestellt, sie diente den Italienern ebenfalls als Nachschubweg. Da sie jedoch teilweise im Beschußfeld der Österreicher lag, wurde alternativ in nur sechs Monaten die Strada Galeria gebaut. Auch sie bietet immer wieder kolossale Ausblicke, vor allem auf die Hochflächen der Sieben Gemeinden, ist aber bei weitem nicht so atemberaubend wie die "Strada degli Eroi". Was nicht heißen soll, daß sie einfach zu befahren ist. Zahlreiche enge Kehren, die im Herbst keine Sonne mehr sehen, zwingen uns eine extrem vorsichtige Fahrweise auf. Vor allem bei Nässe, Rauhreif oder Schneeresten ist Vorsicht geboten, ganz schnell artet das Anbremsen einer Kehre in eine Rutschpartie aus. Kurz darauf wandelt sich die felsige Umgebung in saftige Almen und dann tauchen wir in den Wald ein, bald werden wir wieder im Tal sein. Die sich nun öfter neben der Straße befindlichen Krater und Tümpel markieren noch heute ersichtliche Granattrichter, die sich im Laufe der Zeit mit Wasser gefüllt haben.
Drei Stunden, nachdem wir am Pian delle Fugazze auf die Strada degli Eroi abgebogen sind, sitzen wir im Rifuggio Rif. Tratt. Alpina am Passo Xomo auf der anderen Seite des Pasubiostockes bei einem Cappuccino. Etwas geschlaucht, aber zugleich voller Stolz. Wir bedauern nur, daß es keinen 170er Enduroschlappen für die VFR gibt. Was hatten die Enduristen gesagt, solche Straßen blieben uns verwehrt? Nun, diese hier haben wir gepackt und wer unseren Ex-Präsi kennt, weiß, dass er seine Straßenboliden noch öfters über derartige Offroad-Straßen geprügelt hat. Obwohl er zuhause eine Honda Africa Twin stehen hätte. Und nicht selten mußte er sich von vermeintlich eingefleischten bundesdeutschen Enduristen mit einem "Na, wohl nich mit´m richtichen Jerät hier" anreden lassen.
 
© Peter Winklmair

 
REISEINFORMATIONEN
Geschichtliches:
Südtirol und das Trentino, ja sogar der halbe Gardasee gehörten bis 1918 zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Wie ein Stachel bohrten sich diese Provinzen in das Italienische Königreich. Die Irredenta (eine Weg-von-Österreich-Bewegung) wollte das Trentino schon Ende des vorigen Jahrhunderts Italien an-schließen, was für ein Herrscherhaus wie der Habsburger völlig undiskutabel war. Nur verlorene Kriege hießen Territorialverluste. Nach dem Ausbruch des 1. Weltkrieges trat nun das vorerst neutrale Italien 1915 der Entente bei und erklärte Österreich-Ungarn den Krieg. Bis 1918 rangen beide Länder erbittert vom Ortlermassiv bis hinunter zum Isonzo im heutigen Slowenien, wobei die Österreicher nach mehreren verlustreichen Offensiven immer weiter nach Italien vordrangen. Nach dem Zusammenbruch der Habsburgmonarchie erhielt Italien von den Siegermächten Südtirol, das Trentino, die Dolomiten und Teile der Karnischen Alpen zugesprochen, eben so weit wie sie den heutigen Grenzen Italiens und Österreichs entsprechen.
 
Reisezeit:
Seit einigen Jahren ist die Pasubiostraße mit einem totalen Fahrverbot belegt, versperrte Schranken verhindern zusätzlich ein Zuwiderhandeln. Der Schlüssel heißt "Genehmigung". Wie man zu der kommt, weiß der Autor dieser Story.
Sollte man also eine Genehmigung erhalten haben, empfiehlt sich als Reisezeit der späte Frühling bis zum Spätherbst, als Fahrtdauer eignet sich auch ein Wochenende. Es ist allerdings zu berücksichtigen, daß manche Streckenabschnitte mit Naturfahrbahn im Frühjahr noch nicht oder im Herbst nicht mehr schneefrei sind. Auch nach Regenperioden ist mit Behinderungen oder gar Unpassierbarkeit zu rechnen.
Die Tour kann (bedingt) auch mit Straßenmaschinen bewältigt werden, so wie wir es getan haben. Bei einigen Abschnitten sollte man mit einem Straßenboliden allerdings schon ein großes Maß an Routine und Schottererfahrung mitbringen. Immer wieder versperren Geröllawinen knapp unter dem Rifugio Porto del Pasubio die Straße, daher ist eine Befragung der Passierbarkeit unbedingt notwendig.
Zum Begehen der Stollen empfehlen wir unbedingt die Mitnahme starker Taschenlampen.
 
Einreisebestimmungen:
In Zeiten der EU kein Thema.
 
Verkehrsvorschriften:
Innerorts: 50 km/h
Außerorts: 90 km/h
Schnellstraße/Autobahn: Italien 100/130 km/h
Sturzhelm- und Abblendlichtpflicht. Bei einem Unfall immer die Polizei verständigen!
 
Tankstellennetz:
In Italien ist Benzin sehr teuer, Öffnungszeiten der Tankstellen durchwegs bis 19 Uhr, am Land allerdings längere Mittagspausen.
 
Unterkünfte:
Außer den Campern empfehlen wir jedem nicht in den großen Touristenzentren zu übernachten (z. B. direkt am Gardasee). Nur wenige Kilometer abseits finden sich bereits herrliche und vor allem kostengünstige Übernachtungsmöglichkeiten. Nur 20 km von Rovereto kostete eine Übernachtung mit Frühstück + Abendessen in der Albergho Alla Lanterna in Foxi di Vallarsa Euro 35,- pro Person, deren Wirt Paolo obendrein selbst Motorradfahrer ist. Zudem bieten die Alberghas meist auch eine kostenlose versperrbare Unterbringung fürs Motorrad an. Und wenn einmal nicht, sollte man gerade in Italien ausreichend Ketten und Schlösser mitführen!
Da einige Landstriche unserer besprochenen Tour bis 1918 zu Österreich-Ungarn gehörten, wird noch heute teilweise deutsch gesprochen.
 
Pannenhillfen:
Jeder Motorradfahrer sollte immer ein gewisses Quantum an gutem Werkzeug mitführen, der Reifenpilot für die Schotteretappen jedoch ist Pflicht! Sollte doch einmal etwas zu Bruch gehen, so kann fast jede kleine Werkstatt helfen. Gerade die italienischen Mechaniker sind wahre Meister im Improvisieren. In jeder größeren Stadt gibt es zudem Markenhändler und -werkstätten.
 
Karten- und Geschichtsmaterial:
Wir fuhren größtenteils mit der Kompaßkarte Südtirol - Dolomiten im Maßstab 1:250.000. Bei den Schotteretappen und bei den Besichtigungen zu Fuß verwendeten wir die Kompaß-Wanderkarten 1:50.000 .
Geschichtlich führten uns die "Schauplätze des Gebirgskrieges" von W. Schaumann, sowie "Krieg in den Alpen 1915-18" von H. Lichem und natürlich der altbewährte Denzel-"Alpenstraßenführer".
© Peter Winklmair