Der PIEMONT -
Eines der letzten Enduro-Abenteuer !
Zwei Freunde mit ihren Africa Twins im norditalienischen Enduroparadies.
© Autor, Fotos und Text: Peter Winklmair
 
Unverhofft taucht sie in unserem Blickwinkel auf, die nahezu komplett eingestürzte Brücke, hinter einer unübersichtlichen Biegung, die unseren Vorwärtsdrang hinauf auf den Col Courbioun beim Lago Nero hemmt. Sofort ziehen behende Finger an den Bremshebeln und unbarmherzig treten in massives Leder gehüllte Beine auf die Fußbremsen. Hohe Staubfontänen steigen auf, als wir unsere Enduros wie wild gewordene Mustangs zu bändigen versuchen. Knirschend greifen die Stollenreifen im lockeren Gestein und schieben die Steine auseinander, während die Hinterräder wild zu schlingern beginnen.



Eine eingestürzte Brücke als Hindernis beim Lago Nero.
Als sich der Staub langsam legt, kommen zwei verschwitzte Gesichter unter den Helmen zum Vorschein. Hier geht es jedenfalls nur erschwert weiter. Nach ein paar Minuten des Ausrastens beginnen wir mit dem Orten der Lage. Sollen wir umkehren oder gibt es einen Weg über die nicht gerade vertrauenserweckende Ruine? Umkehren scheidet einmal aus, da sind sich Erich - mein treuer Reisebegleiter - und ich einig. Mit Erich Endurofahren ist, das ist Spaß und Abenteuer zugleich. Auf ihn kann ich mich verlassen, immer und überall. Und wenn ich einmal kurz vor dem Aufgeben bin, spornt er mich wieder an. Auch fahrerisch sind wir uns sehr ähnlich, nicht umsonst fahren wir dasselbe Motorrad.
Schlußendlich finden wir eine schmale Stelle, wo die kaputte Brücke für unsere Honda Africa Twins passierbar ist. Allerdings schrammen die Schutzbleche und Hauptständer verdächtig laut über den alten brüchigen Beton und das Wort "Bodenfreiheit" erhält eine vollkommen neue Dimension. Auch die "Fahrt" danach sollte ein kleiner Vorgeschmack dessen werden, was wir in den darauffolgenden Tagen noch alles im Piemont erleben sollten.
Dabei hatte unsere Tour gar nicht so vielversprechend begonnen. Ende Juli bei unserer Abfahrt - eigentlich die Zeit des Hochsommers - goß es wie aus Kübeln. Regen im Inntal, Regen am Arlberg und Regen am Bodensee. Immer wieder wurde uns versichert, vom Westen her - also der Schweiz - nähere sich ein Hoch. Doch soweit wir auch in die Schweiz hinein fuhren, vom Hoch weit und breit keine Spur. Am Urner Boden schien die Welt unterzugehen; Ich weiß heute noch nicht, wie es am Sustenpaß aussieht, so schlecht war die Sicht. Als es am Grimselpaß leicht zu schneien begann, ließen wir die restlichen geplanten Pässe Pässe sein und bogen in Gletsch ab ins Walliser Tal. In Brig begann es aufzuklaren und endlich, endlich blinzelte die Sonne durch.



Col du Grande St. Bernhard.
Im Walliser Tal, wo - etwas ungewohnt für uns Bewohner eines Weinbaulandes - auch Wein angebaut wird, tuckerten wir dann gemütlich (strenge Geschwindigkeitskontrollen!) Richtung Col du Grande St. Bernhard, bekannt durch seine Hunde, die der Legende nach schon unzähligen Menschen in Bergnot das Leben gerettet haben sollen. Aber auch der Touristennepp boomt. Stoffhunde in allen Größen und Preisklassen werden rund um den Gipfelsee am Hospiz feilgeboten.
Durch das Aostatal, immer Europas höchsten Berg - den Mont Blanc - im Visier, näherten wir uns dem Col du Petit St. Bernhard, der kleineren Ausgabe der beiden St.-Bernhard-Pässe. Obwohl dieser eigentlich der schönere ist, man durchfährt mehr Kehren und er ist verkehrsärmer. Und - er war schon vor mehr als 2000 Jahren bekannt, denn der ursprüngliche Übergang soll bereits Hannibal mit seinen Elefanten beim Feldzug 218 v. Chr. gegen die Römer gedient haben.
Weiter gings durch zahlreiche Tunnels im Iseretal nach Val d'Isere, am Fuße des Col d'Iseran gelegen, einem berühmten Skizentrum und es erinnert wie alle Wintersportorte in den französischen Alpen an Manhattan im fernen New York. Es ist immer wieder erschreckend, wie gerade die Franzosen ihre seelenlosen Hotelburgen inmitten der ansonst lieblichen Landschaft plazieren. Selbst im Sommer kann man die Skipisten auf den nun nicht mehr sattgrünen Wiesen erkennen, während verlassene Liftstützen ihre stählernen Arme gen Himmel recken. Hier spürt man rein gar nichts von der idyllischen Bergdorfromantik in den schweizerischen und österreichischen Alpenregionen, dafür zog uns der Col d´Iseran voll in seinen Bann. Der Iseran war lange Zeit der höchste Alpenpaß Europas und führt entlang sattgrüner Almen bis auf 2.770 m Höhe, der Stein mit der Gipfelinschrift ist ein vielfotografiertes Motiv, auch wir schossen die obligatorischen Beweisfotos. Erich brach sogar in Entzücken aus ob dieser herrlichen Rundsicht.



Die 50 Kehren des Colle Finestre führen zur Asietta-Kammstraße.
In Lanslebourg bogen wir schließlich ab auf den Col du Mt. Cenis, die Schotterumfahrung rund um den See zum Fort mußten wir allerdings weglassen - das wird dann eine andere Geschichte - und über endlose Kehren entlang des gewaltigen Rocciamelone-Massivs kamen wir hinunter nach Susa und im Nachbarort Bussoleno war unser erster fixer Standpunkt für ein paar Tagesausflüge in der näheren Umgebung geplant.
Nach diesen wahrhaft beeindruckenden Bergen begannen wir auf der Assietta-Kammstraße mit unseren Schotterpartien und im Nachhinein gesehen kam sie uns wie eine Spazierfahrt vor. Wir erreichten sie über den Colle Finestre mit seinen fast 50 Kehren - leider im unteren Bereich auch schon teilweise asphaltiert. Im Zuge der Kammstraße fährt man 8 Gipfel an und wir gaben auf dem relativ griffigen Untergrund unseren Africa Twins auch kräftig die Sporen. Nicht ungefährlich waren die Momente, als uns nicht zugelassene Autos in halsbrecherischer Fahrweise entgegen kamen. Offensichtlich benutzen einheimische Rallye-Piloten die Assietta-Straße trotz ihrer herrlichen Ausblicke als Trainingsstrecke. Wer allerdings schwierige Passagen sucht, ist hier fehl am Platze. Zwar gibt es zahlreiche abzweigende Stichstraßen, die jedoch mit einem Fahrverbot belegt sind, und die sollte man penibel einhalten. Denn die ansässige Forstverwaltung kontrolliert rigoros auf ihren handlichen Trialmaschinen! Wer erwischt wird, muß auf Eselspfaden zu Tal und wird im dortigen Büro abkassiert. Meist hat man dann absolut keine Lust mehr, zur Kammstraße hochzufahren. Beim etwas steileren Abstieg vom Colle Genevris hatten wir allerdings unsere liebe Not, als die beiden "Desertbomber" mit teilweise blockierenden Hinterrädern gleich Skifahrern auf der Piste herunterwedelten.
Schotterpassagen auf die zahlreichen Gipfel
Der Höhepunkt des Tages war jedoch die Auffahrt zum Lago Nero und dem anschließenden Col Courbioun. Zuerst bereitete uns die im Vorspann erwähnte eingestürzte Brücke Probleme und plötzlich war keine Rede mehr von ausreichender Bodenfreiheit einer Africa Twin. Laut knirschend schrammte das Blech über den brüchigen Beton, bevor wir mit gegenseitiger Hilfe (anheben des Hecks) die Passage hinter uns brachten. Aber es kam noch dicker! Ein von einer Quelle teilweise überfluteter Hang hatte den Fahrweg nicht nur unter Wasser gesetzt, sondern teilweise auch wegrutschen lassen. Erst nach einer Begehung der Stelle wagten wir die Weiterfahrt, hatten aber für die Rückfahrt große Bedenken, zumal die große Steigung beim Bergabfahren fast keine Möglichkeiten zum Ankerwerfen vor einer Kehre zuließ. Nur in der Kehre selbst schien uns der Untergrund griffig genug für ein Anbremsmanöver. Wenn die Aktion allerdings schiefgehen und die Fuhre wegschmieren würde, dann Gnade Gott: Ein Abflug in den 10 m tiefer gelegenen Wald bliebe unausbleiblich. Doch noch war es nicht soweit, noch fuhren wir bergan!
Beim Gespaltenen Fels bei der Auffahrt zum Chaberton
Am Col Courbioun entschädigte ein phantastischer Rundblick bis hinüber zum Chaberton für alle diese Strapazen - und Freund Zufall kam uns zu Hilfe. Obwohl in den einschlägigen Enduroführern keine alternative Abfahrt angeführt ist, fanden wir auf unserer Wanderkarte einen "Abstieg". Er war nicht viel breiter, als daß Wanderer hintereinander gehen konnten, aber wir riskierten eine Befahrung. Ein vermeintlich abgerutschtes Stück war Gott sei Dank provisorisch repariert und mit viel Gleichgewichtssinn durchfuhren wir diese heikle Stelle. Zeitweise waren die Kehren derart eng, daß die Vorderräder mangels Platz händisch um die Kurve gezogen (!!) werden mußten, aber wir kamen ins Tal. Als erstes benötigten wir dann in Claviere einen Cappucino.
Über die Kehren zum See des Gletscherbruches am 3050m hohen Colle Sommeliers.
Tags darauf erklommen wir den Colle Sommellier, mit 3.050m der zweithöchste anfahrbare Punkt der Alpen. Nachdem das Gipfelskigebiet nicht mehr in Betrieb ist, wird auch keine Maut mehr eingehoben, dafür verfällt die Straße aber zusehends. Zahlreiche Furten lockten mit einer Durchquerung, Hangrutschungen für den unausbleiblichen Adrenalinausstoß und enge, grob geschotterte Kehren an den steilen Hängen für phantastische Ausblicke. Schier endlos zog sich die Straße zurück zu einem Wasserfall, stieg dann auf zu einem Hochplateau, der Untergrund wurde zusehends grober, Schnee lag bereits bis zum Straßenrand - und das im Hochsommer! Bis sie schließlich erneut einen steilen Anstieg zu einem weiteren Hochplateau überwand, wo der Weg endgültig endete. Wie schlimm der Winter hier oben wütet, bewies uns ein Blick ins verfallene Haus der ehemaligen Bergstation: meterhoch Schnee in den Räumen! Und immer wieder die lapidare Feststellung, daß selbst auf scheinbar schwierigsten Strecken irgendwo der obligatorische Fiat Panda parkt, so auch am Sommelier!



Einfahrt in den Jafferau-Tunnel.
NaIn Bardonecchia suchten wir dann die sagenumwobene zweite Auffahrt zum Mte. Jafferau, doch diese existiert wahrhaftig nicht mehr. Aber ein einheimischer Trialfahrer gab uns einen Tip, nicht weit von hier gäbe es einen Weg. Nach einem Blick auf unsere Dickschiffe bezweifelte er zwar ein Gelingen, aber wir probierten die Route ganz einfach auf gut Glück. Es kostete viel Schweiß und der innere Schweinehund mußte regelrecht niedergewürgt werden, aber irgendwie schafften wir es hinauf zur Jafferau-Straße. Und wieder entschädigte die grandiose Rundsicht für alle Strapazen, nur die nazistischen Anti-Motorradparolen auf den Gemäuern der Militärruinen fanden wir gar nicht lustig. Hier müssen einige Idioten die einheimische Bevölkerung ganz arg vergrault haben. Besonderen Eindruck hinterließ der 900 m lange Tunnel auf Abfahrt nach Salbertrand auf uns. Erich nannte es das Geburtssyndrom, als er im stockfinsteren Bauwerk durch knietiefes Wasser bergab fuhr. Ich hingegen zog einen Vergleich mit der Kugel, die den Weg aus dem Rohr der Kanone suchte.



Beim Gipfelfort des Mt. Jafferau.
Zu guter Letzt wollten wir noch den Hl. Berg der Enduristen erklimmen - mit 3.135 m den höchsten Anfahrpunkt der Alpen, den Mt. Chaberton. Seit Erscheinen des Denzel-Alpenstraßenführers ist dieser Berg zu einem Mekka der Enduristen erkoren worden und der gute alte Denzel übertreibt keineswegs bei seinen Schwierigkeitsangaben. Über rund 70 Kehren auf teilweise sehr losem Untergrund erklimmt man bei nur 14 km Länge fast 2.000 Höhenmeter! Und obwohl sich der Berg gegen diesen Ansturm mit Hangrutschungen und Steinlawinen wehrt, die die Wege nahezu unpassierbar machen, die Polizei rigorose Fahrverbote verhängt, hört der Andrang nicht auf. Auch die umliegenden Gemeinden tun fast nichts, um die Straße instand zu halten. Trotz eingangs erwähntem Fahrverbot begannen wir den Aufstieg, auch das stete Brummen eines Helikopters beunruhigte uns vorerst in keiner Weise. Auch uns verlangte dieses Monster von einem Berg viel ab. Leichtes Unbehagen mischte sich unter das sowieso mulmige Gefühl auf dem mittlerweile nur 1 Meter breiten Weg. Erst als uns Motorradfahrer entgegen kamen und wild gestikulierend zur Umkehr deuteten, wurde uns der ganze Ernst der Lage bewußt. Man hatte die Kennzeichen der Maschinen vom Hubschrauber aus notiert - und nun warteten im Tal höchstwahrscheinlich die Carbinieri mit einer saftigen Strafe (rund 2000,- DM!) auf sie! Wir drehten um und ließen den Chaberton das Mekka anderer bleiben. Man kann Gläubigkeit auch übertreiben.
Über Pinerolo und Saluzzo wählten wir die Straße in südlicher Richtung nach Cuneo, unserem neuen Standort. Auf Grund der gut ausgebauten Verkehrswege erreichten wir bald unsere neue Unterkunft - einen sehr schön gelegenen Campingplatz - und machten uns sogleich auf den Weg, die Gegend zu erkunden. Das Val Grana war unser erstes Ziel und groß war die Enttäuschung, daß die bis vor kurzem noch geschotterte Straße auf den 2.450 m hohen Col Fointenau wegen des Giro d´Italia durchgehend asphaltiert war. Was aber aufgrund des herrlichen Panoramas und der vielen Kurven überhaupt nicht störte. Noch schenkten wir einem kurzen Regenschauer keine Bedeutung, der leider ein Vorbote des kommenden Mittelmeertiefs sein sollte. Erst eine durchregnete Nacht senkte die bis dahin gute Laune etwas ab. Zwar regnete es tags darauf nicht mehr, aber die durchnäßten Schotterwege verlangten den Reifen unserer Hondas nun alles ab. Auch die Bremspunkte in Bergabkehren bekamen nun eine ganz andere, aber auch elementare Bedeutung.
Auf der Maira-Stura-Kammstraße und der Ligurischen Grenzkammstraße.
Im Val Stura waren wir auf der Vaira-Stura-Kammstraße mutterseelenalleine unterwegs, trafen nur hie und da auf Hirten, die in einem ausgemergeltem Wohnwagen hausten. Durchs wildromantische Val Elvia mit seinen zahlreichen Tunnels wechselten wir zum Col Sampeyre und zur dort beginnenden Vaira-Maraita-Kammstraße, wo uns die Schlechtwetterfront endgültig einholte. Keine 10 m Sicht, gröbster Schotter und absolut keine Orientierungsmöglichkeit zehrten doch an der Substanz. Als dann Erich am Col Birreno nach einer Kehre im Nebel vor einem querstehenden (weißen!) Auto gerade noch anhalten konnte, legten wir eine längere Verschnaufpause ein. Zwar bestand die Möglichkeit des Vorbeijonglierens am Auto, doch die fehlende Sicht nach unten hemmte unseren Vorwärtsdrang dramatisch ein. Und an der sicheren Bergseite zwischen Auto und Felsen fing sich das Motorschutzblech dann weitere Kampfspuren ein.
Steinschlag und Schotterpisten auf der Ligurischen Grenzkammstraße.
Der krönende Abschluß sollte dann die Ligurische Grenzkammstraße werden. Erneut waren wir wieder ganz allein unterwegs, das schlechte Wetter hielt nicht nur die einheimischen Wanderer und Mountainbiker, sondern auch Motorradfahrer ab. Dafür stieg der Schwierigkeitsgrad drastisch an! Am Col de Collardente dann eine riesige Fahrverbotstafel, doch was sollte uns noch erschrecken? Wir riskierten den Einstieg und wurden schlagartig mit Verhältnissen wie vom Chaberton konfrontiert. Abwechselnd tiefer Lehm, loser und ganz feiner Schotter, der die Felgen tief einsinken ließ, und dann wieder kniehohe Steinstufen, die Beulen in die Schutzbleche schlagen oder millimetertiefe Kerben in das Metall schrammen. Kehren, in denen wir unsere braven Africa Twins fast reversieren mußten! Schweißgebadet kämpften wir uns bergwärts, eng am Berghang fahrend. Wenn die Räder dann zur Talseite rutschten, blickten unsere Augen oft zig Meter fast senkrecht talwärts. Das Anhalten zum Suchen der richtigen Spur zwischen den Steinen wurde verhängnisvoll, weil sich die Räder aus den nassen Steinen nicht herausarbeiten konnten. Ohne Hilfe ging gar nichts mehr, wobei dieses Helfen zu einem endlosen Kreislauf wurde. Kaum blieb einer stehen, brauchte er beim Anfahren wieder selber Hilfe! Für 6 km benötigten wir sage und schreibe zwei geschlagene Stunden!
Nach dem Colle delle Vecchie besserte sich zwar der Untergrund, blieb aber sehr grob und lose. An extrem einsamen und entlegenen Stellen konnte es schon passieren, daß eine Schafherde den Fahrweg ins Weideland integriert hatte und man nicht vorbei konnte. Zwangsläufig folgte der Kontakt mit den Hirten und immer wieder stellten wir fest, wie einfach und anspruchslos manche Menschen mitten in Europa leben müssen - und können. Und dabei auch noch glücklich und zufrieden sind! Doch immer hat man das Damoklesschwert im Rücken, daß es ab der zweiten Hälfte der Lig. Grenzkammstraße, dem Col de Signeurs, keine Abfahrt mehr gibt! Ein Hindernis, eine Panne oder was auch immer - heißen rund 35 km zurück zu fahren. Doch wir haben trotz des miserablen Wetters Glück, nach insgesamt 85 harten, aber auch wunderschönen Kilometern standen wir am alten Fort de la Margerie auf dem Col de Tende.



Die Kehren des Col de Tende.
Leise klickerten die Motoren der Hondas und unzählige Murmeltiere pfiffen die Melodie der Hochalpen. Wir haben es geschafft, vor allem Peter, der Autor, freute sich euphorisch! Dreimal versuchte er schon diese Straße und dreimal scheiterte er. Murenabgänge, Lawinen und ein Unfall zwangen ihn zum Umkehren, jetzt stand er strahlend hinter dem Fort. Kurz vor der italienischen Grenze kamen wir vom Col de Tende mit seinen 48 Kehren auf nur 8 km Länge zurück auf die Hauptstraße. Das bedeutete den totalen Fahrspaß, als wir, das Drehmoment der großen Enduros ausnützend, steinstiebend aus den Kehren beschleunigen konnten. Und kaum hatte sich die schlingernde Maschine beruhigt, folgte schon das harte Anbremsen der nächsten Kehre.
Kurz vor der Heimfahrt machten wir einen kurzen Abstecher an die Cote d´Azur nach Nizza und Monte Carlo. Dabei überquerten wir auch den Col du Braus, der zusammen mit dem Col du Turini Bestandteil der Rallye Monte Carlo ist. Bekannt durch die "Nacht der langen Messer" - einer nächtlichen Sonderprüfung auf Schnee und Eis - ließ er uns ordentlich im Getriebe rühren und das Drehzahlband ausnützen. Aber selbst bei forschester Fahrweise blieben unsere Fahrzeiten weit zurück hinter denen der waghalsigen Rallye-Piloten, die ihre PS-Monster - noch dazu bei winterlichen Bedingungen und des Nachts - diesen Berg hochprügeln. Auch in Monaco ließen wir es uns nicht nehmen, einmal auf den Spuren der Formel 1 zu wandeln und entlang der GP-Strecke zu fahren.
Unsere Rückfahrt führte quer durch die Po-Ebene zum Comosee, am Malojapaß begann es schon wieder zu regnen und in Livigno lachte mitten im August General Winter von den Berghängen. Das Stilfser Joch bescherte uns Schneefahrbahn und das Trafoi einen deutschen Hayabusafahrer, der seine Kraft nicht auf den Boden brachte und zerknirscht zur Kenntnis nehmen mußte, das 175 PS auf engen kurvigen Straßen nicht unbedingt das Gelbe vom Ei sein müssen. Ein letzter Kälteschock am Timmelsjoch, bevor unsere Hondas durch das Inntal wie von alleine Richtung Heimat liefen.
 
© Peter Winklmair

 
REISEINFORMATIONEN
Reisezeit:
Dauer mindestens 1 Woche, Reisezeit von Sommer bis Herbst, manche Pässe sind jedoch bis in den frühen Sommer gesperrt. Vor allem diejenigen, die nicht in unmittelbarer Nähe der großen Touristenzentren liegen und somit keine Hauptverkehrsverbindung darstellen und vor allem die unbefestigten. Durch das nahe Mittelmeer im Piemont ist es im Sommer auch auf den hohen Paßstrecken angenehm warm. Vermeiden Sie jedoch die Schulferienzeit. Man hat das Gefühl ganz Norditalien zusammen mit großen Teilen Frankreichs sei nur in den Bergen unterwegs. Sogar auf Campingplätzen in den Alpen findet man kaum ein Plätzchen!
Wer diese Tour unternimmt, sollte unbedingt Vorsorge treiben. Ersatzteile (wie Brems- und Kupplungshebel) für die Maschine sind ebenso Pflicht wie gutes Kartenmaterial. Auch der Reifenpilot und Montiereisen gehören in jeden Tankrucksack. In den Bergen kann kurzfristig das Wetter umschlagen, daher sollte auch immer (!!) warme Kleidung mitgeführt werden.
 
Formalitäten:
Personalausweis oder Reisepaß, die grüne Versicherungskarte wird in Frankreich und der Schweiz nicht mehr verlangt, in Italien ist sie ratsam.
 
Verkehrshinweise:
Italien: Geschwindigkeit innerorts 50 km/h, auf Landstraßen 90 km/h und auf Autobahnen 130 km/h
Frankreich: Geschwindigkeit innerorts 60 km/h, auf Landstraßen 90 km/h und auf Autobahnen
130 km/h
Schweiz: Geschwindigkeit innerorts 50 km/h, auf Landstraßen 80 km/h und auf Autobahnen 120 km/h
Während es die Franzosen und Italiener mit der Überwachung nicht so genau nehmen, schreitet die Schweizer Polizei hart ein und verhängt drakonische Strafen!
Im Falle eines Unfalles sollte man auf alle Fälle die Polizei verständigen, Fotos von der Unfallstelle machen und absolut nichts unterschreiben! Eine Unterschrift, selbst auf einem belanglosen Strafzettel, bedeutet im Ausland zumeist ein Schuldbekenntnis!
Helmpflicht besteht in allen drei Ländern, aber gerade die Südfranzosen nehmen diese Pflicht nicht so genau. Wir trafen einige Biker unbehelmt an.
Das Abblendlicht am Tage muß nur in der Schweiz eingeschaltet sein, für Autobahnfahrten benötigt man ein Jahresvignette (sFr 30,-).
 
Kulinarisches:
Noch groß über Italiens Küche zu reden, hieße Eulen nach Athen tragen. Man sollte sich jedoch die Mühe machen und Italiens Weine kosten, zumal das "bierra" sehr teuer werden kann, das Essen ist es in dieser Region ohnehin. Ein erlesener Rotwein ist der Barolo, hingegen ist der Arneis, ein frischer Weißer, bei uns nahezu unbekannt. Auf alle Fälle sollte man sich nach dem Aufenthalt in einem Restaurant eine Rechnung geben lassen, die Steuerbehörde überprüft des öfteren die Lokale und verlangt von den Gästen die Rechnung. Wir wurden zwar nie kontrolliert, hätten aber auch immer eine Rechnung vorweisen können. Wer sich aber mit der italienischen Küche nicht gut genug bedient fühlt, kann durch die Grenznähe nahezu täglich in Frankreich dinieren.
Gerade Frankreich ist für seine Küche weltbekannt. Ein alter Spruch behauptet: Ein Mitteleuropäer hat in der selben Zeit schon gegessen, in der ein Franzose überlegt, welche Speise er in wievielen Gängen zu sich nimmt. Die berühmteste Spezialität Südfrankreichs ist die Bouillabaisse, eine Fischsuppe, die drei Fischarten Rascasse (Drachenkopf), Grondin (Knurrhahn) und Congre (Seeaal) enthalten muß. Eine weitere Spezialität ist die Aioli, eine mit Knoblauch abgeschmeckte Mayonnaise. Natürlich diverse Mittelmeerfische oder der Zwiebelkuchen Pissaladiera.
Groß ist auch hier die Auswahl der Weine, vor allem des hauptsächlich hier in den Seealpen angebauten Rosé. Da Weine besser zur französischen Küche passen, sollte man ruhig die verschiedenen Sorten probieren, zudem ist hier der Wein billiger als das uns geläufige Bier.
 
Unterkünfte:
In ganz Italien - und natürlich auch im Piemont - gibt es nahezu flächendeckend Campingplätze, Hotels, Pensionen und Alberghos in allen Kategorien und Preisklassen. Außerhalb der Saison findet man schnell eine Unterkunft, aber in der Ferienzeit sollte man fast im Voraus buchen. Für die ganz Harten bietet sich dazu noch die wilde Übernachtung im Freien, in bewirtschafteten Hütten oder in Heuschobern auf den Bergen an.
 
Treibstoffversorgung:
Ist in allen drei Ländern problemlos und flächendeckend gesichert, in Italien und Frankreich kann es jedoch vorkommen, daß in den Mittagsstunden die Tankstellen in kleinen Orten geschlossen haben.
Preise für Super bleifrei: Italien DM 2,10 - Schweiz DM 1,95 - Frankreich DM 2,-.
 
Geschichtliches:
Das Piemont gehörte einst zur Grafschaft Savoyen, dessen berühmtestes Familienmitglied Prinz Eugen (bekannt durch die Türkenkriege bei Wien) war. Durch Hochzeiten mit Habsburgern gehörte dieser Landstrich also zum großen Habsburger Reich. Nach dem kurzen Besitz durch Napoleon Bonaparte wurde es wieder österreichisch - bis zum Jahr 1859, als der damals junge österreichische Kaiser Franz Josef das Piemont, Teile der Toskana, sowie die Lombardei in der Schlacht von Solferino an Italien verlor.
Die meisten italienischen Bergstraßen verdanken ihren Bau den beiden Weltkriegen. Während diejenigen in Südtirol und Sette Comuni bereits vor 1915 entstanden, wurden die Gebirgswege im Piemont erst in den 20er und 30er Jahren unter Mussolini gebaut. Damit wollte sich das faschistische Italien gegen Frankreich schützen (bzw. umgekehrt). Diese Straßen dienten vorrangig als Nachschubwege oder als Zubringer eines Grenzforts. So wie die Forts langsam verfallen, ergeht es auch den Kriegswegen. Die Länder Italien und Frankreich haben weder das Geld, geschweige denn die Muße, die paar Wege für ein paar verrückte Motorradfahrer instand zu halten. Wachsendes Umweltbewußtsein und erklärtes Rowdytum seitens einiger weniger Motorradfahrer tragen dazu bei, daß diese Straßen in nicht allzu ferner Zukunft entweder gar nicht mehr befahrbar - oder asphaltiert sein werden.
Die heute vorzüglich ausgebauten Hauptverkehrsstrecken führen zumeist in mondäne Wintersportorte. Nicht umsonst gilt der Norden Italiens als der finanziell besser gestellte.
 
Kartenmaterial und Nachweise:
Kompass Alpen 1:500.000, Kümmerle & Frey Piemont 1:200.000
Großer Alpenstraßenführer - Denzel-Verlag, Motorrad-Touren in den Alpen - Denzel-Verlag, BMW-Eundoroatlas, Automobil & Motorrad Ausgabe April/Mai 1931 (!!).
© Peter Winklmair