Unverhofft taucht
sie in unserem Blickwinkel auf, die nahezu komplett eingestürzte
Brücke, hinter einer unübersichtlichen Biegung, die unseren
Vorwärtsdrang hinauf auf den Col Courbioun beim Lago Nero hemmt.
Sofort ziehen behende Finger an den Bremshebeln und unbarmherzig treten
in massives Leder gehüllte Beine auf die Fußbremsen. Hohe
Staubfontänen steigen auf, als wir unsere Enduros wie wild gewordene
Mustangs zu bändigen versuchen. Knirschend greifen die Stollenreifen
im lockeren Gestein und schieben die Steine auseinander, während
die Hinterräder wild zu schlingern beginnen. |

Eine eingestürzte Brücke als Hindernis beim Lago Nero. |
Als sich der Staub langsam legt, kommen zwei verschwitzte
Gesichter unter den Helmen zum Vorschein. Hier geht es jedenfalls
nur erschwert weiter. Nach ein paar Minuten des Ausrastens beginnen
wir mit dem Orten der Lage. Sollen wir umkehren oder gibt es einen
Weg über die nicht gerade vertrauenserweckende Ruine? Umkehren
scheidet einmal aus, da sind sich Erich - mein treuer Reisebegleiter
- und ich einig. Mit Erich Endurofahren ist, das ist Spaß und
Abenteuer zugleich. Auf ihn kann ich mich verlassen, immer und überall.
Und wenn ich einmal kurz vor dem Aufgeben bin, spornt er mich wieder
an. Auch fahrerisch sind wir uns sehr ähnlich, nicht umsonst
fahren wir dasselbe Motorrad.
Schlußendlich finden wir eine schmale Stelle, wo die kaputte
Brücke für unsere Honda Africa Twins passierbar ist. Allerdings
schrammen die Schutzbleche und Hauptständer verdächtig laut
über den alten brüchigen Beton und das Wort "Bodenfreiheit"
erhält eine vollkommen neue Dimension. Auch die "Fahrt"
danach sollte ein kleiner Vorgeschmack dessen werden, was wir in den
darauffolgenden Tagen noch alles im Piemont erleben sollten.
Dabei hatte unsere Tour gar nicht so vielversprechend begonnen. Ende
Juli bei unserer Abfahrt - eigentlich die Zeit des Hochsommers - goß
es wie aus Kübeln. Regen im Inntal, Regen am Arlberg und Regen
am Bodensee. Immer wieder wurde uns versichert, vom Westen her - also
der Schweiz - nähere sich ein Hoch. Doch soweit wir auch in die
Schweiz hinein fuhren, vom Hoch weit und breit keine Spur. Am Urner
Boden schien die Welt unterzugehen; Ich weiß heute noch nicht,
wie es am Sustenpaß aussieht, so schlecht war die Sicht. Als
es am Grimselpaß leicht zu schneien begann, ließen wir
die restlichen geplanten Pässe Pässe sein und bogen in Gletsch
ab ins Walliser Tal. In Brig begann es aufzuklaren und endlich, endlich
blinzelte die Sonne durch. |

Col du Grande St. Bernhard. |
Im Walliser Tal, wo - etwas ungewohnt für uns
Bewohner eines Weinbaulandes - auch Wein angebaut wird, tuckerten
wir dann gemütlich (strenge Geschwindigkeitskontrollen!) Richtung
Col du Grande St. Bernhard, bekannt durch seine Hunde, die der Legende
nach schon unzähligen Menschen in Bergnot das Leben gerettet
haben sollen. Aber auch der Touristennepp boomt. Stoffhunde in allen
Größen und Preisklassen werden rund um den Gipfelsee am
Hospiz feilgeboten.
Durch das Aostatal, immer Europas höchsten Berg - den Mont Blanc
- im Visier, näherten wir uns dem Col du Petit St. Bernhard,
der kleineren Ausgabe der beiden St.-Bernhard-Pässe. Obwohl dieser
eigentlich der schönere ist, man durchfährt mehr Kehren
und er ist verkehrsärmer. Und - er war schon vor mehr als 2000
Jahren bekannt, denn der ursprüngliche Übergang soll bereits
Hannibal mit seinen Elefanten beim Feldzug 218 v. Chr. gegen die Römer
gedient haben.
Weiter gings durch zahlreiche Tunnels im Iseretal nach Val d'Isere,
am Fuße des Col d'Iseran gelegen, einem berühmten Skizentrum
und es erinnert wie alle Wintersportorte in den französischen
Alpen an Manhattan im fernen New York. Es ist immer wieder erschreckend,
wie gerade die Franzosen ihre seelenlosen Hotelburgen inmitten der
ansonst lieblichen Landschaft plazieren. Selbst im Sommer kann man
die Skipisten auf den nun nicht mehr sattgrünen Wiesen erkennen,
während verlassene Liftstützen ihre stählernen Arme
gen Himmel recken. Hier spürt man rein gar nichts von der idyllischen
Bergdorfromantik in den schweizerischen und österreichischen
Alpenregionen, dafür zog uns der Col d´Iseran voll in seinen
Bann. Der Iseran war lange Zeit der höchste Alpenpaß Europas
und führt entlang sattgrüner Almen bis auf 2.770 m Höhe,
der Stein mit der Gipfelinschrift ist ein vielfotografiertes Motiv,
auch wir schossen die obligatorischen Beweisfotos. Erich brach sogar
in Entzücken aus ob dieser herrlichen Rundsicht. |

Die 50 Kehren des Colle Finestre führen zur Asietta-Kammstraße. |
In Lanslebourg bogen wir schließlich ab auf
den Col du Mt. Cenis, die Schotterumfahrung rund um den See zum Fort
mußten wir allerdings weglassen - das wird dann eine andere
Geschichte - und über endlose Kehren entlang des gewaltigen Rocciamelone-Massivs
kamen wir hinunter nach Susa und im Nachbarort Bussoleno war unser
erster fixer Standpunkt für ein paar Tagesausflüge in der
näheren Umgebung geplant.
Nach diesen wahrhaft beeindruckenden Bergen begannen wir auf der Assietta-Kammstraße
mit unseren Schotterpartien und im Nachhinein gesehen kam sie uns
wie eine Spazierfahrt vor. Wir erreichten sie über den Colle
Finestre mit seinen fast 50 Kehren - leider im unteren Bereich auch
schon teilweise asphaltiert. Im Zuge der Kammstraße fährt
man 8 Gipfel an und wir gaben auf dem relativ griffigen Untergrund
unseren Africa Twins auch kräftig die Sporen. Nicht ungefährlich
waren die Momente, als uns nicht zugelassene Autos in halsbrecherischer
Fahrweise entgegen kamen. Offensichtlich benutzen einheimische Rallye-Piloten
die Assietta-Straße trotz ihrer herrlichen Ausblicke als Trainingsstrecke.
Wer allerdings schwierige Passagen sucht, ist hier fehl am Platze.
Zwar gibt es zahlreiche abzweigende Stichstraßen, die jedoch
mit einem Fahrverbot belegt sind, und die sollte man penibel einhalten.
Denn die ansässige Forstverwaltung kontrolliert rigoros auf ihren
handlichen Trialmaschinen! Wer erwischt wird, muß auf Eselspfaden
zu Tal und wird im dortigen Büro abkassiert. Meist hat man dann
absolut keine Lust mehr, zur Kammstraße hochzufahren. Beim etwas
steileren Abstieg vom Colle Genevris hatten wir allerdings unsere
liebe Not, als die beiden "Desertbomber" mit teilweise blockierenden
Hinterrädern gleich Skifahrern auf der Piste herunterwedelten.
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Schotterpassagen auf die zahlreichen Gipfel
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Der Höhepunkt des Tages war jedoch die Auffahrt
zum Lago Nero und dem anschließenden Col Courbioun. Zuerst bereitete
uns die im Vorspann erwähnte eingestürzte Brücke Probleme
und plötzlich war keine Rede mehr von ausreichender Bodenfreiheit
einer Africa Twin. Laut knirschend schrammte das Blech über den
brüchigen Beton, bevor wir mit gegenseitiger Hilfe (anheben des
Hecks) die Passage hinter uns brachten. Aber es kam noch dicker! Ein
von einer Quelle teilweise überfluteter Hang hatte den Fahrweg
nicht nur unter Wasser gesetzt, sondern teilweise auch wegrutschen
lassen. Erst nach einer Begehung der Stelle wagten wir die Weiterfahrt,
hatten aber für die Rückfahrt große Bedenken, zumal
die große Steigung beim Bergabfahren fast keine Möglichkeiten
zum Ankerwerfen vor einer Kehre zuließ. Nur in der Kehre selbst
schien uns der Untergrund griffig genug für ein Anbremsmanöver.
Wenn die Aktion allerdings schiefgehen und die Fuhre wegschmieren
würde, dann Gnade Gott: Ein Abflug in den 10 m tiefer gelegenen
Wald bliebe unausbleiblich. Doch noch war es nicht soweit, noch fuhren
wir bergan! |
Beim Gespaltenen Fels bei der Auffahrt zum Chaberton
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Am Col Courbioun entschädigte ein phantastischer
Rundblick bis hinüber zum Chaberton für alle diese Strapazen
- und Freund Zufall kam uns zu Hilfe. Obwohl in den einschlägigen
Enduroführern keine alternative Abfahrt angeführt ist, fanden
wir auf unserer Wanderkarte einen "Abstieg". Er war nicht
viel breiter, als daß Wanderer hintereinander gehen konnten,
aber wir riskierten eine Befahrung. Ein vermeintlich abgerutschtes
Stück war Gott sei Dank provisorisch repariert und mit viel Gleichgewichtssinn
durchfuhren wir diese heikle Stelle. Zeitweise waren die Kehren derart
eng, daß die Vorderräder mangels Platz händisch um
die Kurve gezogen (!!) werden mußten, aber wir kamen ins Tal.
Als erstes benötigten wir dann in Claviere einen Cappucino. |
Über die Kehren zum See des Gletscherbruches
am 3050m hohen Colle Sommeliers.
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Tags darauf erklommen wir den Colle Sommellier, mit
3.050m der zweithöchste anfahrbare Punkt der Alpen. Nachdem das
Gipfelskigebiet nicht mehr in Betrieb ist, wird auch keine Maut mehr
eingehoben, dafür verfällt die Straße aber zusehends.
Zahlreiche Furten lockten mit einer Durchquerung, Hangrutschungen
für den unausbleiblichen Adrenalinausstoß und enge, grob
geschotterte Kehren an den steilen Hängen für phantastische
Ausblicke. Schier endlos zog sich die Straße zurück zu
einem Wasserfall, stieg dann auf zu einem Hochplateau, der Untergrund
wurde zusehends grober, Schnee lag bereits bis zum Straßenrand
- und das im Hochsommer! Bis sie schließlich erneut einen steilen
Anstieg zu einem weiteren Hochplateau überwand, wo der Weg endgültig
endete. Wie schlimm der Winter hier oben wütet, bewies uns ein
Blick ins verfallene Haus der ehemaligen Bergstation: meterhoch Schnee
in den Räumen! Und immer wieder die lapidare Feststellung, daß
selbst auf scheinbar schwierigsten Strecken irgendwo der obligatorische
Fiat Panda parkt, so auch am Sommelier! |

Einfahrt in den Jafferau-Tunnel. |
NaIn Bardonecchia suchten wir dann die sagenumwobene
zweite Auffahrt zum Mte. Jafferau, doch diese existiert wahrhaftig
nicht mehr. Aber ein einheimischer Trialfahrer gab uns einen Tip,
nicht weit von hier gäbe es einen Weg. Nach einem Blick auf unsere
Dickschiffe bezweifelte er zwar ein Gelingen, aber wir probierten
die Route ganz einfach auf gut Glück. Es kostete viel Schweiß
und der innere Schweinehund mußte regelrecht niedergewürgt
werden, aber irgendwie schafften wir es hinauf zur Jafferau-Straße.
Und wieder entschädigte die grandiose Rundsicht für alle
Strapazen, nur die nazistischen Anti-Motorradparolen auf den Gemäuern
der Militärruinen fanden wir gar nicht lustig. Hier müssen
einige Idioten die einheimische Bevölkerung ganz arg vergrault
haben. Besonderen Eindruck hinterließ der 900 m lange Tunnel
auf Abfahrt nach Salbertrand auf uns. Erich nannte es das Geburtssyndrom,
als er im stockfinsteren Bauwerk durch knietiefes Wasser bergab fuhr.
Ich hingegen zog einen Vergleich mit der Kugel, die den Weg aus dem
Rohr der Kanone suchte. |

Beim Gipfelfort des Mt. Jafferau. |
Zu guter Letzt wollten wir noch den Hl. Berg der
Enduristen erklimmen - mit 3.135 m den höchsten Anfahrpunkt der
Alpen, den Mt. Chaberton. Seit Erscheinen des Denzel-Alpenstraßenführers
ist dieser Berg zu einem Mekka der Enduristen erkoren worden und der
gute alte Denzel übertreibt keineswegs bei seinen Schwierigkeitsangaben.
Über rund 70 Kehren auf teilweise sehr losem Untergrund erklimmt
man bei nur 14 km Länge fast 2.000 Höhenmeter! Und obwohl
sich der Berg gegen diesen Ansturm mit Hangrutschungen und Steinlawinen
wehrt, die die Wege nahezu unpassierbar machen, die Polizei rigorose
Fahrverbote verhängt, hört der Andrang nicht auf. Auch die
umliegenden Gemeinden tun fast nichts, um die Straße instand
zu halten. Trotz eingangs erwähntem Fahrverbot begannen wir den
Aufstieg, auch das stete Brummen eines Helikopters beunruhigte uns
vorerst in keiner Weise. Auch uns verlangte dieses Monster von einem
Berg viel ab. Leichtes Unbehagen mischte sich unter das sowieso mulmige
Gefühl auf dem mittlerweile nur 1 Meter breiten Weg. Erst als
uns Motorradfahrer entgegen kamen und wild gestikulierend zur Umkehr
deuteten, wurde uns der ganze Ernst der Lage bewußt. Man hatte
die Kennzeichen der Maschinen vom Hubschrauber aus notiert - und nun
warteten im Tal höchstwahrscheinlich die Carbinieri mit einer
saftigen Strafe (rund 2000,- DM!) auf sie! Wir drehten um und ließen
den Chaberton das Mekka anderer bleiben. Man kann Gläubigkeit
auch übertreiben.
Über Pinerolo und Saluzzo wählten wir die Straße in
südlicher Richtung nach Cuneo, unserem neuen Standort. Auf Grund
der gut ausgebauten Verkehrswege erreichten wir bald unsere neue Unterkunft
- einen sehr schön gelegenen Campingplatz - und machten uns sogleich
auf den Weg, die Gegend zu erkunden. Das Val Grana war unser erstes
Ziel und groß war die Enttäuschung, daß die bis vor
kurzem noch geschotterte Straße auf den 2.450 m hohen Col Fointenau
wegen des Giro d´Italia durchgehend asphaltiert war. Was aber
aufgrund des herrlichen Panoramas und der vielen Kurven überhaupt
nicht störte. Noch schenkten wir einem kurzen Regenschauer keine
Bedeutung, der leider ein Vorbote des kommenden Mittelmeertiefs sein
sollte. Erst eine durchregnete Nacht senkte die bis dahin gute Laune
etwas ab. Zwar regnete es tags darauf nicht mehr, aber die durchnäßten
Schotterwege verlangten den Reifen unserer Hondas nun alles ab. Auch
die Bremspunkte in Bergabkehren bekamen nun eine ganz andere, aber
auch elementare Bedeutung. |
Auf der Maira-Stura-Kammstraße und der Ligurischen
Grenzkammstraße.
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Im Val Stura waren wir auf der Vaira-Stura-Kammstraße
mutterseelenalleine unterwegs, trafen nur hie und da auf Hirten, die
in einem ausgemergeltem Wohnwagen hausten. Durchs wildromantische
Val Elvia mit seinen zahlreichen Tunnels wechselten wir zum Col Sampeyre
und zur dort beginnenden Vaira-Maraita-Kammstraße, wo uns die
Schlechtwetterfront endgültig einholte. Keine 10 m Sicht, gröbster
Schotter und absolut keine Orientierungsmöglichkeit zehrten doch
an der Substanz. Als dann Erich am Col Birreno nach einer Kehre im
Nebel vor einem querstehenden (weißen!) Auto gerade noch anhalten
konnte, legten wir eine längere Verschnaufpause ein. Zwar bestand
die Möglichkeit des Vorbeijonglierens am Auto, doch die fehlende
Sicht nach unten hemmte unseren Vorwärtsdrang dramatisch ein.
Und an der sicheren Bergseite zwischen Auto und Felsen fing sich das
Motorschutzblech dann weitere Kampfspuren ein. |
Steinschlag und Schotterpisten auf der Ligurischen
Grenzkammstraße.
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Der krönende Abschluß sollte dann die
Ligurische Grenzkammstraße werden. Erneut waren wir wieder ganz
allein unterwegs, das schlechte Wetter hielt nicht nur die einheimischen
Wanderer und Mountainbiker, sondern auch Motorradfahrer ab. Dafür
stieg der Schwierigkeitsgrad drastisch an! Am Col de Collardente dann
eine riesige Fahrverbotstafel, doch was sollte uns noch erschrecken?
Wir riskierten den Einstieg und wurden schlagartig mit Verhältnissen
wie vom Chaberton konfrontiert. Abwechselnd tiefer Lehm, loser und
ganz feiner Schotter, der die Felgen tief einsinken ließ, und
dann wieder kniehohe Steinstufen, die Beulen in die Schutzbleche schlagen
oder millimetertiefe Kerben in das Metall schrammen. Kehren, in denen
wir unsere braven Africa Twins fast reversieren mußten! Schweißgebadet
kämpften wir uns bergwärts, eng am Berghang fahrend. Wenn
die Räder dann zur Talseite rutschten, blickten unsere Augen
oft zig Meter fast senkrecht talwärts. Das Anhalten zum Suchen
der richtigen Spur zwischen den Steinen wurde verhängnisvoll,
weil sich die Räder aus den nassen Steinen nicht herausarbeiten
konnten. Ohne Hilfe ging gar nichts mehr, wobei dieses Helfen zu einem
endlosen Kreislauf wurde. Kaum blieb einer stehen, brauchte er beim
Anfahren wieder selber Hilfe! Für 6 km benötigten wir sage
und schreibe zwei geschlagene Stunden!
Nach dem Colle delle Vecchie besserte sich zwar der Untergrund, blieb
aber sehr grob und lose. An extrem einsamen und entlegenen Stellen
konnte es schon passieren, daß eine Schafherde den Fahrweg ins
Weideland integriert hatte und man nicht vorbei konnte. Zwangsläufig
folgte der Kontakt mit den Hirten und immer wieder stellten wir fest,
wie einfach und anspruchslos manche Menschen mitten in Europa leben
müssen - und können. Und dabei auch noch glücklich
und zufrieden sind! Doch immer hat man das Damoklesschwert im Rücken,
daß es ab der zweiten Hälfte der Lig. Grenzkammstraße,
dem Col de Signeurs, keine Abfahrt mehr gibt! Ein Hindernis, eine
Panne oder was auch immer - heißen rund 35 km zurück zu
fahren. Doch wir haben trotz des miserablen Wetters Glück, nach
insgesamt 85 harten, aber auch wunderschönen Kilometern standen
wir am alten Fort de la Margerie auf dem Col de Tende. |

Die Kehren des Col de Tende. |
Leise klickerten die Motoren der Hondas und unzählige
Murmeltiere pfiffen die Melodie der Hochalpen. Wir haben es geschafft,
vor allem Peter, der Autor, freute sich euphorisch! Dreimal versuchte
er schon diese Straße und dreimal scheiterte er. Murenabgänge,
Lawinen und ein Unfall zwangen ihn zum Umkehren, jetzt stand er strahlend
hinter dem Fort. Kurz vor der italienischen Grenze kamen wir vom Col
de Tende mit seinen 48 Kehren auf nur 8 km Länge zurück
auf die Hauptstraße. Das bedeutete den totalen Fahrspaß,
als wir, das Drehmoment der großen Enduros ausnützend,
steinstiebend aus den Kehren beschleunigen konnten. Und kaum hatte
sich die schlingernde Maschine beruhigt, folgte schon das harte Anbremsen
der nächsten Kehre.
Kurz vor der Heimfahrt machten wir einen kurzen Abstecher an die Cote
d´Azur nach Nizza und Monte Carlo. Dabei überquerten wir
auch den Col du Braus, der zusammen mit dem Col du Turini Bestandteil
der Rallye Monte Carlo ist. Bekannt durch die "Nacht der langen
Messer" - einer nächtlichen Sonderprüfung auf Schnee
und Eis - ließ er uns ordentlich im Getriebe rühren und
das Drehzahlband ausnützen. Aber selbst bei forschester Fahrweise
blieben unsere Fahrzeiten weit zurück hinter denen der waghalsigen
Rallye-Piloten, die ihre PS-Monster - noch dazu bei winterlichen Bedingungen
und des Nachts - diesen Berg hochprügeln. Auch in Monaco ließen
wir es uns nicht nehmen, einmal auf den Spuren der Formel 1 zu wandeln
und entlang der GP-Strecke zu fahren.
Unsere Rückfahrt führte quer durch die Po-Ebene zum Comosee,
am Malojapaß begann es schon wieder zu regnen und in Livigno
lachte mitten im August General Winter von den Berghängen. Das
Stilfser Joch bescherte uns Schneefahrbahn und das Trafoi einen deutschen
Hayabusafahrer, der seine Kraft nicht auf den Boden brachte und zerknirscht
zur Kenntnis nehmen mußte, das 175 PS auf engen kurvigen Straßen
nicht unbedingt das Gelbe vom Ei sein müssen. Ein letzter Kälteschock
am Timmelsjoch, bevor unsere Hondas durch das Inntal wie von alleine
Richtung Heimat liefen. |
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© Peter Winklmair |
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REISEINFORMATIONEN |
Reisezeit: |
Dauer mindestens 1 Woche, Reisezeit von Sommer bis
Herbst, manche Pässe sind jedoch bis in den frühen Sommer
gesperrt. Vor allem diejenigen, die nicht in unmittelbarer Nähe
der großen Touristenzentren liegen und somit keine Hauptverkehrsverbindung
darstellen und vor allem die unbefestigten. Durch das nahe Mittelmeer
im Piemont ist es im Sommer auch auf den hohen Paßstrecken angenehm
warm. Vermeiden Sie jedoch die Schulferienzeit. Man hat das Gefühl
ganz Norditalien zusammen mit großen Teilen Frankreichs sei
nur in den Bergen unterwegs. Sogar auf Campingplätzen in den
Alpen findet man kaum ein Plätzchen!
Wer diese Tour unternimmt, sollte unbedingt Vorsorge treiben. Ersatzteile
(wie Brems- und Kupplungshebel) für die Maschine sind ebenso
Pflicht wie gutes Kartenmaterial. Auch der Reifenpilot und Montiereisen
gehören in jeden Tankrucksack. In den Bergen kann kurzfristig
das Wetter umschlagen, daher sollte auch immer (!!) warme Kleidung
mitgeführt werden. |
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Formalitäten: |
Personalausweis oder Reisepaß, die grüne
Versicherungskarte wird in Frankreich und der Schweiz nicht mehr verlangt,
in Italien ist sie ratsam. |
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Verkehrshinweise: |
Italien: Geschwindigkeit innerorts 50 km/h, auf Landstraßen
90 km/h und auf Autobahnen 130 km/h
Frankreich: Geschwindigkeit innerorts 60 km/h, auf Landstraßen
90 km/h und auf Autobahnen
130 km/h
Schweiz: Geschwindigkeit innerorts 50 km/h, auf Landstraßen
80 km/h und auf Autobahnen 120 km/h
Während es die Franzosen und Italiener mit der Überwachung
nicht so genau nehmen, schreitet die Schweizer Polizei hart ein und
verhängt drakonische Strafen!
Im Falle eines Unfalles sollte man auf alle Fälle die Polizei
verständigen, Fotos von der Unfallstelle machen und absolut nichts
unterschreiben! Eine Unterschrift, selbst auf einem belanglosen Strafzettel,
bedeutet im Ausland zumeist ein Schuldbekenntnis!
Helmpflicht besteht in allen drei Ländern, aber gerade die Südfranzosen
nehmen diese Pflicht nicht so genau. Wir trafen einige Biker unbehelmt
an.
Das Abblendlicht am Tage muß nur in der Schweiz eingeschaltet
sein, für Autobahnfahrten benötigt man ein Jahresvignette
(sFr 30,-). |
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Kulinarisches: |
Noch groß über Italiens Küche zu
reden, hieße Eulen nach Athen tragen. Man sollte sich jedoch
die Mühe machen und Italiens Weine kosten, zumal das "bierra"
sehr teuer werden kann, das Essen ist es in dieser Region ohnehin.
Ein erlesener Rotwein ist der Barolo, hingegen ist der Arneis, ein
frischer Weißer, bei uns nahezu unbekannt. Auf alle Fälle
sollte man sich nach dem Aufenthalt in einem Restaurant eine Rechnung
geben lassen, die Steuerbehörde überprüft des öfteren
die Lokale und verlangt von den Gästen die Rechnung. Wir wurden
zwar nie kontrolliert, hätten aber auch immer eine Rechnung vorweisen
können. Wer sich aber mit der italienischen Küche nicht
gut genug bedient fühlt, kann durch die Grenznähe nahezu
täglich in Frankreich dinieren.
Gerade Frankreich ist für seine Küche weltbekannt. Ein alter
Spruch behauptet: Ein Mitteleuropäer hat in der selben Zeit schon
gegessen, in der ein Franzose überlegt, welche Speise er in wievielen
Gängen zu sich nimmt. Die berühmteste Spezialität Südfrankreichs
ist die Bouillabaisse, eine Fischsuppe, die drei Fischarten Rascasse
(Drachenkopf), Grondin (Knurrhahn) und Congre (Seeaal) enthalten muß.
Eine weitere Spezialität ist die Aioli, eine mit Knoblauch abgeschmeckte
Mayonnaise. Natürlich diverse Mittelmeerfische oder der Zwiebelkuchen
Pissaladiera.
Groß ist auch hier die Auswahl der Weine, vor allem des hauptsächlich
hier in den Seealpen angebauten Rosé. Da Weine besser zur französischen
Küche passen, sollte man ruhig die verschiedenen Sorten probieren,
zudem ist hier der Wein billiger als das uns geläufige Bier. |
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Unterkünfte: |
In ganz Italien - und natürlich auch im Piemont
- gibt es nahezu flächendeckend Campingplätze, Hotels, Pensionen
und Alberghos in allen Kategorien und Preisklassen. Außerhalb
der Saison findet man schnell eine Unterkunft, aber in der Ferienzeit
sollte man fast im Voraus buchen. Für die ganz Harten bietet
sich dazu noch die wilde Übernachtung im Freien, in bewirtschafteten
Hütten oder in Heuschobern auf den Bergen an. |
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Treibstoffversorgung: |
Ist in allen drei Ländern problemlos und flächendeckend
gesichert, in Italien und Frankreich kann es jedoch vorkommen, daß
in den Mittagsstunden die Tankstellen in kleinen Orten geschlossen
haben.
Preise für Super bleifrei: Italien DM 2,10 - Schweiz DM 1,95
- Frankreich DM 2,-. |
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Geschichtliches: |
Das Piemont gehörte einst zur Grafschaft Savoyen,
dessen berühmtestes Familienmitglied Prinz Eugen (bekannt durch
die Türkenkriege bei Wien) war. Durch Hochzeiten mit Habsburgern
gehörte dieser Landstrich also zum großen Habsburger Reich.
Nach dem kurzen Besitz durch Napoleon Bonaparte wurde es wieder österreichisch
- bis zum Jahr 1859, als der damals junge österreichische Kaiser
Franz Josef das Piemont, Teile der Toskana, sowie die Lombardei in
der Schlacht von Solferino an Italien verlor.
Die meisten italienischen Bergstraßen verdanken ihren Bau den
beiden Weltkriegen. Während diejenigen in Südtirol und Sette
Comuni bereits vor 1915 entstanden, wurden die Gebirgswege im Piemont
erst in den 20er und 30er Jahren unter Mussolini gebaut. Damit wollte
sich das faschistische Italien gegen Frankreich schützen (bzw.
umgekehrt). Diese Straßen dienten vorrangig als Nachschubwege
oder als Zubringer eines Grenzforts. So wie die Forts langsam verfallen,
ergeht es auch den Kriegswegen. Die Länder Italien und Frankreich
haben weder das Geld, geschweige denn die Muße, die paar Wege
für ein paar verrückte Motorradfahrer instand zu halten.
Wachsendes Umweltbewußtsein und erklärtes Rowdytum seitens
einiger weniger Motorradfahrer tragen dazu bei, daß diese Straßen
in nicht allzu ferner Zukunft entweder gar nicht mehr befahrbar -
oder asphaltiert sein werden.
Die heute vorzüglich ausgebauten Hauptverkehrsstrecken führen
zumeist in mondäne Wintersportorte. Nicht umsonst gilt der Norden
Italiens als der finanziell besser gestellte. |
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Kartenmaterial und Nachweise: |
Kompass Alpen 1:500.000, Kümmerle & Frey
Piemont 1:200.000
Großer Alpenstraßenführer - Denzel-Verlag, Motorrad-Touren
in den Alpen - Denzel-Verlag, BMW-Eundoroatlas, Automobil & Motorrad
Ausgabe April/Mai 1931 (!!). |
© Peter Winklmair |
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