Transilvanien - in der Heimat Graf Draculas
Die beiden Mitglieder vom MSC St. Leonhard Erich Fritzenwallner und Peter Winklmair 2002 in Rumänien.
© Autor, Fotos und Text: Peter Winklmair
 
"Nu problemas" meint Zaharia, der Rumäne, als er das defekte Radlager meiner Honda Africa Twin begutachtet. "Mjine" (morgen) werden wir weitersehen, aber er könne mir sicher helfen. Dabei weiß der Gute gar nicht, wie es in mir drinnen aussieht. Ausgerechnet hier, keine 100 km von der rumänisch-ukrainischen Grenze, muß dieses verdammte Lager kaputtgehen. Hätte es nicht weiter südlich, in Siebenbürgen, inmitten der Zivilisation, seinen Geist aufgeben können? Nein, hier in dieser Einöde, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, in der Dunkelheit die Wölfe von den Bergen heulen. Und wo manche der Einheimischen so finster blicken, als wollten sie dir - ähnlich wie ihr berühmte "Vorfahr" Graf Dracula - das Blut aus den Adern saugen.



Ein Lagerschaden an der Honda
kurz vor der rumänisch-ukrainischen Grenze.
Nach einer schlaflosen Nacht weckt mich Zaharia und wir fahren die gut 16 km lange Strecke von seinem Hof hinab ins Dorf Apej. In jenes Dorf, auf dessen Hauptplatz ich gestern meine lädierte Honda demonstrativ aufgestellt hatte. Denn ich wußte, was darauf folgen sollte. Im Nu stand gut die Hälfte der Einwohner neugierig um mich und bestaunte mich wie ein Stück Vieh im Zoo. Und prompt konnte irgendeiner ein paar Brocken deutsch, und wir riefen über mein Handy (Gott lobe den Fortschritt) Zaharia zu Hilfe.
Jetzt sollte es zum Dorfschmied gehen, doch ich bin noch immer skeptisch. Freundlich grüßt mein Helfer, wechselt ein paar Sätze auf rumänisch und legt die Reste des kaputten Radlagers auf den Tresen. Ganz ruhig dreht sich der Schmied um und legt ein identisches Lager daneben! Worauf Zaharia meint, wir sollten das andere Lager vorsichtshalber auch wechseln. Ich lege das zweite, noch intakte Lager, daneben. Der Schmied dreht sich erneut um, greift ins Regal, und das zweite passende Lager liegt vor mir. Innerlich stelle ich mich auf eine fürchterliche Abzocke ein. Immerhin befinde ich mich in einer Notlage, das versuchten schon viele Helfer in sogenannten ärmeren Ländern auszunutzen. Weit gefehlt! Nur Euro 8,50 wechseln den Besitzer, selbstverständlich in einer sechsstelligen Lei-Zahl. Mir fällt ein Stein vom Herzen, nun steht einer problemlosen Heimfahrt durch Ungarn nichts mehr im Weg. "Allerdings", meint der Schmied, "sei das ein Lager eines UAZ", was immer dies bedeutet (vermutlich ein russisches Traktorfabrikat), "und verträgt keine so hohen Geschwindigkeiten wie ein japanisches Motorrad. Ich soll etwas verhalten heimfahren." Auch gut, Hauptsache ich komme überhaupt heim.
Heute im nachhinein schmunzle ich über diese Episode - ja, sie ist geradezu der Renner unserer Abenteuer-Erzählungen - aber damals mitten in der "Pampa" hatte ich schon gewaltig die "Muffe", als mir die Kugeln des Lagers entgegenkamen. Und weit und breit keine Menschenseele! Noch dazu, wo wir uns am Vortag getrennt hatten. Meine Weggefährte Erich war nach Bukarest und ans Schwarze Meer weiter gefahren, während ich umkehrte und durch die Ostkarpaten entlang der ukrainischen Grenze nach Hause fahren wollte.
Aber zuvor bereisten wir dieses Land ja gemeinsam, dieses beeindruckende Land mit seiner herrlichen unberührten Natur und seinen teilweise recht armen und doch so hilfsbereiten Menschen. Es war genau 16 Uhr, als wir am Grenzübergang Cenad standen. Mit - zugegebenerweise - klopfendem Herzen, denn so viele Leute hatten uns gewarnt. "Wo wollt ihr hin, nach Rumänien? Ihr werdet verhungern. Die stehlen euch die Motorräder an der Kreuzung unterm Hintern weg. Da gibt es doch keine Hotels oder Campingplätze." So oder so ähnlich lauteten die gutgemeinten Tips unserer Bekannten. Doch bald sollten wir es selber erfahren. Übrigens, gestohlen wurde uns nichts, außer einer kleinen an den Instrumenten aufgeklebten Digitaluhr. Und die könnte auch in unseren Gefilden schnell verschwinden.



Modernes japanisches Motorrad trifft auf altes rumänisches Fuhrwerk.
Keine 20 Minuten Wartezeit später konnten wir frei nach Boris Becker sagen: "Ich bin drin." Sah es anfangs noch aus wie in Ungarn - kein Wunder, dieser Landstrich war bis 1918 Ungarn - wurden die Straßen zusehends schlechter, die Häuser in den Dörfern verwahrloster und die Autos auf den Straßen weniger. Schattige Pappelalleen saugten die Enduros auf, große Schaf- und Ziegenherden grasten unmittelbar neben der Straße, während mit eisenbeschlagenen Rädern ausgestattete Fuhrwerke über den brüchigen Asphalt rumpelten. Bald sollte sich sogar die gesetzlich vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h auf Landstraßen aufgrund des miesen Straßenzustandes mancherorts als zu hoch erweisen. Schwer ächzten unsere Federbeine und Gabelfedern unter der Last der vollbepackten Maschinen, wenn sich die Anzahl der knöcheltiefen Schlaglöcher so erhöhte, daß ein Ausweichen beinahe unmöglich wurde. Mit lautem Rumpeln knallte dann die Fuhre durch diese materialmordenden Trichter. Und doch haben die rumänischen Ansiedlungen ihren besonderen Reiz. Neben der zumeist asphaltierten Dorfstraße schließt sich zunächst ein schmaler Grünstreifen an, oft mit Bäumen bepflanzt oder als Vorgarten abgesteckt. Erst dann trennt ein farbenfroh gestrichener Gartenzaun die zumeist bescheidenen Häuser von der Straße. Eine Horde schnatternder Gänse, ein paar Schafe oder Ziegen, manchmal auch Kühe und ein paar Hühner - faktisch die Grundausstattung jedes ländlichen Haushaltes - halten sich zumeist in der Nähe dieser Häuser, also auf der Straße, auf. Borlova hieß so ein Dorf, unsere erste Station, malerisch am Fuße des Muntele Mic gelegen. Bis 1918 Grenzort der K.u.k.-Monarchie zu Rumänien, heute Standort der "EnduRoMania", einer nahezu kultigen Veranstaltung für Hardenduro-Freaks.
Das Dorf Borlova, Zentrum der EnduRomania-Veranstaltung
und Muntele Mic bei Caransebes
Obwohl zur Zeit unseres Besuches keine derartige Veranstaltung stattfand, waren doch unzählige Stollenbereifte zwecks Training und Ortserkundung zugegen. An allen möglichen und unmöglichen Stellen trafen wir lehmverschmierte Geländefahrer, die wie aus dem Nichts durchs Unterholz geschossen kamen. So auch am Berg Cuntu. Wir hatten gerade unsere zwei Dickschiffe (Honda Africa Twin) durch einen grobschottrigen hohlwegartigen Steilabschnitt gewuchtet, als eine Gas Gas mit ohrenbetäubendem Auspuffgeräusch neben uns anhielt. "Mann, wie seid ihr denn hochgegomm'?" Auf unser "na, auf dem gleichen Pfad wie du" sprang der gute Mann von seinem Bock und suchte eine "zivilisierte" Auffahrt. Ungläubig starrte er unsere Wuchtbrummen an, dann seine dagegen federleichte Gas Gas und murmelte immer wieder "gibt´s nich, gibt´s nich". Ja, liebe Bundesgenossen aus dem deutschen Land. Unsere Vorfahren haben mit ihren eigenen Händen die Alpen Stein für Stein aufgebaut, wir wissen also, wie man in den Bergen fährt, der fahrende Untersatz ist dabei nur zweitrangig. Abends in der Dorfkneipe waren wir dann das Gesprächsthema der EnduRoManisten.



Unsere Africa Twins in Turnu Rueini.
In diesem Teil der Westkarpaten findet der Offroad-Fan ein wahrlich uneingeschränktes Betätigungsfeld. Von Bachbettdurchfahrten bis zur Holzfällerspur und einem "normalen" Waldweg wird so gut wie alles abgedeckt. Und der freundliche Förster bei Turnu Ruieni zeigte uns sogar noch den richtigen Weg, als wir uns im Gestrüpp hoffnungslos verfahren hatten! Doch wir wollten ja das ganze Land kennenlernen, darum ging es bald weiter.
Auf der kurvigen Straße nach Resita fühlten wir uns wie in der Toskana, die gleiche liebliche Landschaft, aber nahezu kein Verkehr. Resita selber war eine heruntergekommene Industriestadt, in der sich die rostigen Förderbänder und Druckleitungen ungeniert mitten über ganze Wohnblocks wölben. Da konnte uns auch das alte Dampflokmuseum nicht aufmuntern. Dafür lohnte sich der Besuch der Region Trei Ape. Viele Kurven entlang einiger Badeseen, immer wieder garniert mit schrecklichen Schlaglöchern und einigen unasphaltierten "Sonderprüfungen" erinnerten bis auf die Straße an das österreichische Salzkammergut. In Anbetracht des Wochenendes waren unzählige Einheimische mit ihren Zelten an den Seen, campierten, grillten und feierten einen zögerlichen Anstieg des Wohlstandes seit Ende des Ceaucescu-Regimes Ende der 80er Jahre. Zwar können sich viele noch keinen richtigen Urlaub leisten, aber so ein Campingwochenende als Selbstversorger ist ja schon etwas. Bei jedem Fotostopp sorgen wir für einen richtigen Volksauflauf, nur die Frage nach dem Preis so einer Maschine verschweigen wir tunlichst. Einerseits können wir in rumänischen Lei eine derart astronomische Summe gar nicht aussprechen, andererseits würden wir uns sofort als westliche Kapitalisten offenbaren. Also deuten wir auf irgendein Auto, das offensichtlich als Gebrauchtwagen aus dem Westen gekommen sein mußte. Denn die meisten einheimischen Autofahrer bewegen einen Dacia, einen in Lizenz gebauten Renault, den es bei uns allerdings schon seit Jahrzehnten nicht mehr gibt.



Auf dem 2.140 m hohen Urdelepaß.
Leider schlug bei Baile Herculane das Wetter um, es begann zu regnen. Beim Kasanpaß und dem Portile de Fier - dem Eisernen Tor, einer berühmten Flußenge - an der Donau goß es so schlimm, daß wir nicht einmal Serbien am andern Ufer erkennen konnten. Deutschsprechende Fernfahrer teilten uns mit, daß das Wetter Richtung Bukarest immer schlechter werde, also nahmen wir eine Kursänderung vor. Über Targu Jiu - nun wieder im Trockenen - wandten wir uns erneut den Karpaten zu; in Novaci beschlossen wir, diese über den Urdelepaß zu überqueren. Lt. Karte eine ganz normale Landesstraße, was bis Rinca auch zutraf. Wegen eines Bautrupps störten uns vorerst auch die groben Steine nicht, denn "wo gebaut wird, liegen sie schließlich auch". Dann jedoch begann sich die Straße in vorerst weiten, später immer enger werdenden Kehren nach oben zu schrauben. Ausgesetzte Stellen wechselten sich mit Hangrutschungen ab, und alles mußten wir mit den vollbepackten Hondas bezwingen. Langsam wurde es warm in den Kombis, die beschlagenen Visiere klappten nach oben. Immer wieder mußten wir anhalten, weil Schafherden diese "Straße" als Weideland in Beschlag genommen hatten oder uns Hirtenhunde zurück zur Herde bellen wollten. Nach einer bald endlosen Auffahrt standen wir auf 2.140 m Seehöhe (Rinca liegt auf 340 m, das waren also 1.700 Höhenmeter!) und bemerkten, daß diese Strecke bei Regen die Hölle sein müsse. Doch Gott sei Dank war es ja trocken.
Leider nur bis zur 3. Kehre nach der Paßhöhe, dann hüllte ein dickes Wolkenband die Berge ein, es begann wie aus Kübeln zu schütten, und die Fahrbahn verwandelte sich in einen schmierigen Weg, garniert mit rutschigen Steinen. Wie auf rohen Eiern zirkelten wir die Hondas Kehre um Kehre talwärts, manchmal driftend, manchmal querstehend. Mitten durch Viehherden, selbst die Hunde verloren die Lust auf uns. Die Sicht reichte oft keine zehn Meter - vielleicht gut so - damit sahen wir nicht, wie tief es abwärts ging. Wir konnten nur ahnen, wie grandios die Landschaft ringsum sein mochte. Es begann schon zu dämmern, als wir ins Vidratal hinabkamen. Hoffentlich würden wir eine Unterkunft finden, wir hatten absolut keine Lust, bei diesem Sauwetter die Zelte aufzubauen. Außer ein paar wild campierenden Rumänen war weit und breit nichts zu finden, als sich urplötzlich ein riesiger Betonklotz am Seeufer aus den Nebelschwaden erhob. Dort zog es uns geradezu magisch hin, und dort würden wir auch - egal ob bewirtschaftet oder nicht - unterkommen. Der Betonklotz stellte sich leider als unvollendeter Hotel-Rohbau aus früheren Zeiten heraus, nur mehr bewohnt von verwilderten Hunden, die bei unserer Annäherung sofort in wütendes Gebell ausbrachen. Aber daneben stand ein kleines Gebäude mit Apartmenteinheiten, ein paar Dacias davor und - es brannte Licht! Nichts wie hin! Tja, für sage und schreibe 5,- Euro gab´s zudem ordentliche Zimmer - und die tropfnassen, total verdreckten Maschinen standen neben der Rezeption und versauten den schönen Teppich. Es waren nur 9 Personen in diesem Hotel, vier davon waren amerikanische Tramper, und wir waren zu zweit. Der Wohlstand wird doch noch ein Weilchen brauchen in diesem Land.



Hängebrücke bei Vojneasa.
Tags darauf goß es noch immer in Strömen. Nach einem ausgiebigen Frühstück mußten wir - bevor es weiterging - die ganze Pächter-Familie auf den Motorrädern fotografieren. Daß die Maschinen nun sauber waren, während der Dreck des halben Urdelepasses im Foyer des Hotels den Teppich verunzierte, störte anscheinend - außer uns - niemanden. Durch den anhaltenden Regen war der Vidrabach bedrohlich angestiegen, und im Dorf Vojneasa standen wir plötzlich ohne Vorwarnung vor einer äußerst wackeligen Hängebrücke aus Holz. Alternative gab es wegen des hochwasserführenden Flusses sowieso keine! Vorsichtig ging ich einmal zu Fuß darüber, die glitschen Holzbohlen erregten keinen vertrauenserweckenden Eindruck. Außerdem schaukelte das Ding gewaltig, doch was soll´s. Wir mußten auf alle Fälle da drüber. Mittlerweile waren ein paar neugierige Dorfbewohner herbeigeeilt und sahen uns interessiert zu. Plötzlich machte einer eine Bewegung, so, als würde er ein Lenkrad halten, deutete zuerst auf sich und dann auf die Brücke. Na, wenn da ein Auto drüber fährt, können wir das auch.
Vorsichtig zirkelte ich meine Africa Twin auf die Brücke und zog unter einem ohrenbetörenden rumpelnden Geräusch auf die andere Seite. Dabei wackelte sie nicht nur in der Fahrtrichtung, sondern auch von rechts nach links. Drüben angekommen, deutete ich Erich, daß ich ihn- während ihrer Überfahrt fotografieren würde. Als ich dann auch Fotos von mir haben wollte, verwandelte sich diese Aktion in eine wahre Fotosession, sehr zum Gaudium der Dorfbewohner, die mittlerweile in Kompaniestärke angetreten waren. Und wieder war einer der deutschen Sprache mächtig und fragte zögerlich, "daß alle Dorfbewohner wissen wollen, warum wir diese Brückenüberquerung aus allen Richtungen fotografieren". Er wollte (oder konnte?) unsere Antwort nicht verstehen, daß es solche Brücken in unserer Heimat gar nicht mehr gäbe. Und wenn, wären sie mit einem strengen Fahrverbot belegt.
Nach einiger Zeit weitete sich das Tal. Wir trafen auf eine relativ gut ausgebaute Straße, das Wetter besserte sich, und es dauerte nicht lange, als sich die Silhouette Sibius - auf deutsch Hermannstadt - vor uns abzeichnete. Auf die Besichtigungen der Sehenswürdigkeiten verzichteten wir großteils. Einerseits waren sie fast nicht zu finden, da in keinster Weise auf Hinweis- oder Straßenschildern darauf hingewiesen wurde. Anderseits nervten selbsternannte Parkplatzwächter bei jedem Stopp mit dubiosen Berechtigungen zum Parken, nicht ohne zuvor eine astronomisch hohe Gebühr genannt zu haben.
So zog es uns eher nach Ocna Sibiului, wie Salzburg auf rumänisch heißt. Nun stammen wir beide aus dem österreichischen Salzburg, folglich sahen wir es als Pflicht an, das siebenbürgische Pendant zu besuchen. Doch auch diese Visite entpuppte sich als Reinfall. Die sagenhaften Salzseen erwiesen sich als morastige Tümpel, in denen Zigeuner badeten. Abermals suchten wir schleunigst das Weite. Mittlerweile hatte sich die Sonne durchgesetzt und trieb die Temperaturen auf hochsommerliche Werte, als sich innerhalb weniger Kilometer ein Gewitter zusammenbraute, das sich binnen einiger Minuten zuerst als Hagelsturm und in weiterer Folge als tropenartiger Regenguß über uns ergoß. Im Nu standen die Schlaglöcher und seitlichen Regenrinnen unter Wasser. Der Verkehr stand schlagartig still, an ein Weiterfahren war nicht zu denken!



Im transsyslvanischen Dorf Tirnava.
Erst nach einer Stunde des Wartens unter einer Dorflinde setzten wir die Fahrt nach dem Dorf Tirnava in Siebenbürgen fort. Dort kam ein Arbeitskollege von uns zur Welt, flüchtete aber später in den "Goldenen Westen". Unter dem Hallo nahezu der ganzen Dorfbevölkerung suchten wir nach seiner Beschreibung die Schule, das Wohnhaus, den Gasthäusern usw. Aber nur einige ältere deutschsprachige Bewohner konnten sich noch schwach an den Namen erinnern. Katharina Fierlinger war so eine Deutschstämmige. Nach dem Tod ihres Mannes seien ihr nahezu alle deutschstämmigen Freunde und Bekannte aus dem Dorf nach deren Flucht in die Heimat der Urahnen Deutschland verloren gegangen, ihre Häuser von Rumänen und Zigeunern in Beschlag genommen worden. Sie hatte nicht mehr die Kraft, wegzugehen, 50,- Euro im Monat seien zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Am meisten bedauerte sie, daß sich seit der "Wende" - dem Tod des Diktators Ceaucescu - fast nichts geändert hat.



Die Wehrkirche in Birthan.
Nicht weit von Tirnava in Biertan fanden wir in einer sogenannten Wehrkirche in der ansässigen Pfarre eine Bleibe für die Nacht. Diese Wehrkirchen, bekannt in ganz Siebenbürgen, wurden zum Schutz gegen die einfallenden Türken festungsartig ausgebaut. In ihnen konnten sich die Dorfbewohner im Kriegsfalle verschanzen und ausharren, bis Hilfe kam. Heute werden die Kirchen von deutschen Institutionen restauriert und instand gehalten, das Geld von den Touristen - die hier nächtigen - fließt einem entsprechenden Fonds zu. Die Wurzeln der deutschsprachigen Bewohner gehen bis ins 12. Jahrhundert zurück, als der ungarische König Geza II. und später die Habsburger nach den Türkenkriegen Sachsen hier ansiedelten. Sieben Landesfürsten in ebensovielen Gemeinden bürgten für Einhaltung der Gesetze und Aufbau der zerstörten Gebiete, daher der Name "Siebenbürgen".



Die Kehren der Transfagarasan.
Über Fagaras fuhren wir zurück in die Karpaten, die kurvenreiche Transfagarasan - eine schlecht asphaltierte, aber landschaftlich sehr reizvolle Strecke - führte uns in die wohl bekannteste Gegend von Siebenbürgen, oder Transsilvanien wie es rumänisch genannt wird. Hier soll einst der sagenumwobene, blutrünstige Graf Dracula gelebt haben! Von hier verbreiteteten sich die Vampire - Untote, die nur nachts unterwegs sind und sich von Menschenblut ernähren - über die ganze Welt. Nur, ganz so stimmt diese Geschichte nicht. Wohl gab es einen Landesfürsten mit dem Namen Vlad Tepes Dracul, der auch tatsächlich etwas blutrünstig war. Aber er war einer der wenigen Adeligen, der sich gegen die einfallenden Reiterhorden der Osmanen, Seldschuken und Tataren zur Wehr setzte. Als er wieder einmal im Kampf gegen die Osmanen stand, ließen diese seiner im Schloß Bran zurückgebliebenen Gattin die Nachricht von seinem heldenhaften Tod zukommen. Worauf diese aus Gram Selbstmord beging. In sein Schloß zurückgekehrt, schwor Vlad Dracul grimmige Rache und ließ fortan, wann immer er Osmanen zu fassen bekam, diese bei lebendigem Leibe pfählen. In kriegerischen Zeiten soll man muselmanische Krieger zu Hunderten rund um Schloß Bran aufgespießt in den Wäldern gefunden haben. Heute ist das Schloß im Besitz eines amerikanischen Industriellen, der das Gebiet rund herum als Erlebnispark touristisch erschließen will. Gott sei Dank ist das Land Rumänien von Touristen noch nicht überrannt, sodaß bisher ein Investor nach dem anderen absprang. Nach einem Rundgang in dieser Burg lenkten wir unsere Stahlrösser wieder südöstlich über den Pratovapaß. Unzählige Kurven und absolut kein Verkehrsaufkommen - das ließ unsere Herzen höher schlagen; wir gaben unseren Hondas ordentlich die Sporen.



Schloß Bran,
angeblich der ehemalige Sitz des Grafen Dracula.
In Cheia, einem lieblich anmutendem Bergdorf, fanden wir eine kleine private Unterkunft. Angesichts des angrenzenden rauschenden Bergbaches empfanden wir beinahe heimatliche Gefühle. So etwas findet sich auch in unseren Alpen! Beim Abendessen erzählten uns die Gastgeber, daß der Ort bis 1918 der Grenzort von Ungarn nach Rumänien gewesen sei, daß hier im 1. Weltkrieg auch gekämpft worden sei und daß ein später berühmter Feldherr damals hier war. Erwin Rommel, im 2. Weltkrieg als Feldmarschall in Nordafrika unter dem Beinamen "der Wüstenfuchs" bekannt, kämpfte hier als junger Leutnant Seite an Seite mit Österreich-Ungarn gegen die Russen und Rumänen.
Es gefiel uns so gut, daß wir hier ein paar Tage verweilten. Ausflüge in die nähere Umgebung mit ein paar Offroad-Etappen gehörten genauso dazu, wie der Besuch der Schlammvulkane "Vulcani Noroiosi" von Berca. Doch dann trennten sich unsere Wege, Erich wollte noch ans Schwarze Meer, während ich mangels ausreichender Urlaubstage zurück mußte. Mittlerweile hatte sich ein andauerndes Hoch eingestellt, daher wollte ich durch die Ostkarpaten bis zur ukrainischen Grenze fahren und von dort quer durch Ungarn heim. Schweren Herzens nahmen wir Abschied. "Macht's gut! Wir sehen uns zu Hause. Gute Weiterreise!", dann war ich allein.



Eine ganz besonderes Naturereignis sind die Vulcani Noroiosi bei Berca.
Monoton brummte der Motor meiner Africa Twin; durch den geringen Verkehr kam ich flott voran. Miercurea Ciuc lag bald hinter mir, der Abstand zwischen den einzelnen Ortschaften wurde immer größer, so wie die Hautfarbe der Bewohner dunkler wurde. Hier schienen nur mehr Zigeuner zu hausen. Gleichmäßig spulte ich meine Kilometer herunter, unterbrochen von Tankpausen, Fotostopps und dem Umblättern der Kartenausschnitte im Tankrucksack. Vor Baja Mare wurde das Gebirge etwas flacher, die Wälder lichter; ich kam langsam in die Nähe der ehemaligen Ungarischen Tiefebene. Wie der Blitz aus heiterem Himmel fing die Africa Twin zu schlingern an!
"Plattfuß!", das war mein erster Gedanke. Doch beim Reifencheck paße alles. "Naja, wird wohl eine übersehene Spurrille gewesen sein", beruhigte ich mich und fuhr weiter. Doch die Honda eierte nach wie vor, dazu kam ein böse klingendes, metallisches Geräusch. "Bei diesen Straßen wird die Kette wohl etwas schneller verschleißen, wo sie doch im Winter sowieso fällig geworden wäre", schoß es mir durch den Kopf. Doch auch die Kettenspannung paßte. Warum hatte das Rad dann so viel Spiel, und woher kam dieses metallene Geräusch? Mutterseelenalleine stand ich in der Gegend und baute die Achse aus, als es mich wie ein Donnerschlag traf: die Achslager sind kaputt! Und das ausgerechnet hier!
Aus! Vorbei! Ohne Hilfe ging da gar nichts mehr, zudem ich Ersatz leider nicht dabei hatte! Um überhaupt weiterfahren zu können, drückte ich ein einige Beilagscheiben auf die kaputten Lager und zog die Achse wieder fest. Alle paar Kilometer blieb ich stehen und griff auf die Achse und Schwinge, alles war recht heiß. Im erstbesten Dorf blieb ich mitten am Dorfplatz stehen, auf Hilfe hoffend - die ich dort auch erhielt (siehe Vorspann).
Daß diese Reise doch noch mit einem Happy-End ausging, verdankte ich ausschließlich der Hilfsbereitschaft und Zuvorkommenheit der einheimischen rumänischen Bevölkerung. Kein Gedanke mehr an Raub, Hunger oder fehlender Infrastruktur. Im Gegenteil, die Rumänen erwiesen sich bis auf wenige Ausnahmen als freundlich, aufgeschlossen und ganz besonders wissensbegierig in Sachen Europäische Union, wohin sie ja auch einmal wollen. An dieser Stelle möchte ich noch eine Anekdote zum Besten geben, die mir nach erfolgter Reparatur etwa 10 km vor der ungarischen Grenze passierte: In Anbetracht der nahenden Grenze hatte ich die Geschwindigkeit im Ortsgebiet erheblich überschritten, worauf mich die Polizei anhielt. Als ich dem freundlichen Gesetzeshüter - der weder deutsch noch englisch konnte - erklärt hatte, daß sich nur mehr 60.000,- Lei (= 4,- Euro) in meinem Geldbörsel befänden, gab er mir den Paß zurück, salutierte auf und ließ mich ungeschoren weiterfahren. Keine Viertelstunde später hatte ich dieses Land bereits verlassen, aber es wird mich sicher wieder sehen.
 
© Peter Winklmair

 
REISEINFORMATIONEN
Allgemeines:
Wer Abstriche im sanitären Bereich machen kann, sein Motorrad schlechten Straßen aussetzen möchte und nicht übermäßig Angst vor den Gruselgeschichten über die Rumänen hat, findet in Rumänien eine abwechslungsreiche und ursprüngliche Landschaft mit vielen historischen Bauten. Oft gleicht die Fahrt einer Reise in vergangene Epochen. Die Einheimischen bringen trotz ihrer Armut oder vielleicht gerade deswegen Fremden gegenüber eine ungeahnte Gastfreundschaft entgegen. Obwohl sich das Land im Bereich der gemäßigten kontinentalen Klimazone (sehr warme trockene Sommer, aber auch empfindlich kalte Winter) befindet, können wir nicht bestätigen, daß die Sommer durchgehend trocken sind. Im Juli - unserer Reisezeit - goß es zeitweise wie in den Tropen.
 
Geschichte:
Nach den Römern (den direkten Vorfahren der Rumänen) konnten sich weder Hunnen, Goten oder Awaren im Land festsetzen, auch die Slawen nicht. Im 13. Jahrhundert wird Rumänien erstmals namentlich erwähnt, jedoch bald darauf von den Osmanen, bzw. Ungarn (Habsburger), aber auch Russen in deren Reiche einverleibt. Vor allem die Habsburger siedeln Sachsen und Schwaben im Banat und Siebenbürgen an. Das russische Protektorat endet 1856 mit dem Krimkrieg, das österreich/ungarische 1918 nach dem 1. Weltkrieg. Nach dem 2. Weltkrieg orientierte sich Rumänien eher nach den Ostblockstaaten, geriet jedoch durch die konservative und reformablehnende Politik ihres seit 1965 herrschenden Diktators Ceaucescu´s immer mehr in eine Isolation. 1989 beim großen Fall des großen Eisernen Vorhanges quer durch Europa wurde auch der Despot Ceaucescu nach der Revolution von Timisoara abgesetzt, gefangen genommen und hingerichtet. Aber noch heute leidet die Bevölkerung an der destruktiven Politik des einstigen Regimes, zudem einige wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformen bis heute nicht gegriffen haben. Viele deutschstämmige Einwohner sind in das Land ihrer eigentlichen Muttersprache zurückgekehrt, ihr ganzes Hab und Gut zurücklassend.
 
Einreise:
Gültiger Reisepaß, die Grüne Versicherungskarte wird bei der Einreise verlangt. Geldwechsel ist im Land günstiger als in Deutschland, Kreditkarten wurden nicht immer akzeptiert. Führerschein, Fahrzeugpapiere und Reisepaß sollten unbedingt in Kopien mitgeführt werden. Obwohl es uns nie untergekommen ist, verstummten warnende Stimmen nicht, daß sich korrupte Polizisten ein Zubrot verdienen sollten, indem sie die Original-Papiere bei einer Verkehrskontrolle nur nach Zahlung eines Schmiergeldes zurück händigen wollten.
 
Verkehrsbestimmungen:
Tempolimits: innerorts 40 km/h, Freilandstraße 60 km/h, Autobahn 90 km/h. Die Rumänien sind recht zügige Fahrer, sie überholen dabei immer und überall. Große, starke Motorräder sind in Rumänien nahezu unbekannt, werden daher in Abzug und Geschwindigkeit unterschätzt. Den Straßenzustand muß man generell als schlecht bezeichnen, Ausnahme: die Transitrouten. Teils knietiefe Schlaglöcher werden gar nicht, mit Zweigen oder Steinen gekennzeichnet.
 
Treibstoff und Pannen:
Die Benzinversorgung (auch Bleifrei) ist mittlerweile nahezu flächendeckend gewährleistet. Im Notfall sucht man in Dörfern oder Gehöften Autobesitzer. Die haben zumeist Reservekanister oder können mit Sprit aushelfen. Bei Pannen empfiehlt sich, Einheimische zu kontaktieren, die entweder selbst mit anpacken oder Hilfe holen.
Als fahrbaren Untersatz empfehlen wir unbedingt eine reisetaugliche Enduro mit ausreichend Federweg, als Bereifung wählten wir den Bridgestone TW 152 mit hervorragendem Naßverhalten, ausreichender Lebensdauer und genügend Grip abseits der befestigten Wege.
 
Kulinarisches:
Mittlerweile erhält man in nahezu jeder Unterkunft - abgesehen vom Frühstück - auch ein Abendessen. Die Speisen ähnelngeschmacklich sehr den angrenzenden Balkanländern, das Bier ist angenehm süffig. Nach dem Essen schmeckt der meist selbstgebrannte Tuika-Schnaps vorzüglich. Am meisten verbreitet sind Grillgerichte wie die Mititeis, kleine Fleischröllchen mit Senf und Brot. In ländlichen Gegenden sollten man unbedingt die Mamaliga cu brinza probierem: Maisbrei mit Schafskäse und Spiegelei, übergossen mit Rahm.
 
Nachweis:
Die Auswahl der (genauen) Straßenkarten ist noch nicht sehr groß, vor allem bei kleinen Nebenstraßen ist Vorsicht geboten. Manche sind gar nicht, andere nur erschwert befahrbar, einige existieren wohl noch nicht oder gab es noch nie. Wir fuhren großteils mit der Karte "Siebenbürgen" von Freytag & Berndt im Maßstab 1:350.000, oder mit der Faltkarte für die EnduRoMania-Teilnehmer im Maßstab 1: 150.000, die sich aber nur auf ein kleines Gebiet in den Westkarpaten beschränkt. In Rumänien gibt es an größeren Shell-Tankstellen den Rumänien-Atlas im Maßstab 1:500.000.
© Peter Winklmair