"Nu problemas"
meint Zaharia, der Rumäne, als er das defekte Radlager meiner
Honda Africa Twin begutachtet. "Mjine" (morgen) werden wir
weitersehen, aber er könne mir sicher helfen. Dabei weiß
der Gute gar nicht, wie es in mir drinnen aussieht. Ausgerechnet hier,
keine 100 km von der rumänisch-ukrainischen Grenze, muß
dieses verdammte Lager kaputtgehen. Hätte es nicht weiter südlich,
in Siebenbürgen, inmitten der Zivilisation, seinen Geist aufgeben
können? Nein, hier in dieser Einöde, wo sich Fuchs und Hase
gute Nacht sagen, in der Dunkelheit die Wölfe von den Bergen
heulen. Und wo manche der Einheimischen so finster blicken, als wollten
sie dir - ähnlich wie ihr berühmte "Vorfahr" Graf
Dracula - das Blut aus den Adern saugen. |

Ein Lagerschaden an der Honda
kurz vor der rumänisch-ukrainischen Grenze. |
Nach einer schlaflosen Nacht weckt mich Zaharia und
wir fahren die gut 16 km lange Strecke von seinem Hof hinab ins Dorf
Apej. In jenes Dorf, auf dessen Hauptplatz ich gestern meine lädierte
Honda demonstrativ aufgestellt hatte. Denn ich wußte, was darauf
folgen sollte. Im Nu stand gut die Hälfte der Einwohner neugierig
um mich und bestaunte mich wie ein Stück Vieh im Zoo. Und prompt
konnte irgendeiner ein paar Brocken deutsch, und wir riefen über
mein Handy (Gott lobe den Fortschritt) Zaharia zu Hilfe.
Jetzt sollte es zum Dorfschmied gehen, doch ich bin noch immer skeptisch.
Freundlich grüßt mein Helfer, wechselt ein paar Sätze
auf rumänisch und legt die Reste des kaputten Radlagers auf den
Tresen. Ganz ruhig dreht sich der Schmied um und legt ein identisches
Lager daneben! Worauf Zaharia meint, wir sollten das andere Lager
vorsichtshalber auch wechseln. Ich lege das zweite, noch intakte Lager,
daneben. Der Schmied dreht sich erneut um, greift ins Regal, und das
zweite passende Lager liegt vor mir. Innerlich stelle ich mich auf
eine fürchterliche Abzocke ein. Immerhin befinde ich mich in
einer Notlage, das versuchten schon viele Helfer in sogenannten ärmeren
Ländern auszunutzen. Weit gefehlt! Nur Euro 8,50 wechseln den
Besitzer, selbstverständlich in einer sechsstelligen Lei-Zahl.
Mir fällt ein Stein vom Herzen, nun steht einer problemlosen
Heimfahrt durch Ungarn nichts mehr im Weg. "Allerdings",
meint der Schmied, "sei das ein Lager eines UAZ", was immer
dies bedeutet (vermutlich ein russisches Traktorfabrikat), "und
verträgt keine so hohen Geschwindigkeiten wie ein japanisches
Motorrad. Ich soll etwas verhalten heimfahren." Auch gut, Hauptsache
ich komme überhaupt heim.
Heute im nachhinein schmunzle ich über diese Episode - ja, sie
ist geradezu der Renner unserer Abenteuer-Erzählungen - aber
damals mitten in der "Pampa" hatte ich schon gewaltig die
"Muffe", als mir die Kugeln des Lagers entgegenkamen. Und
weit und breit keine Menschenseele! Noch dazu, wo wir uns am Vortag
getrennt hatten. Meine Weggefährte Erich war nach Bukarest und
ans Schwarze Meer weiter gefahren, während ich umkehrte und durch
die Ostkarpaten entlang der ukrainischen Grenze nach Hause fahren
wollte.
Aber zuvor bereisten wir dieses Land ja gemeinsam, dieses beeindruckende
Land mit seiner herrlichen unberührten Natur und seinen teilweise
recht armen und doch so hilfsbereiten Menschen. Es war genau 16 Uhr,
als wir am Grenzübergang Cenad standen. Mit - zugegebenerweise
- klopfendem Herzen, denn so viele Leute hatten uns gewarnt. "Wo
wollt ihr hin, nach Rumänien? Ihr werdet verhungern. Die stehlen
euch die Motorräder an der Kreuzung unterm Hintern weg. Da gibt
es doch keine Hotels oder Campingplätze." So oder so ähnlich
lauteten die gutgemeinten Tips unserer Bekannten. Doch bald sollten
wir es selber erfahren. Übrigens, gestohlen wurde uns nichts,
außer einer kleinen an den Instrumenten aufgeklebten Digitaluhr.
Und die könnte auch in unseren Gefilden schnell verschwinden.
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Modernes japanisches Motorrad trifft auf altes rumänisches Fuhrwerk. |
Keine 20 Minuten Wartezeit später konnten wir
frei nach Boris Becker sagen: "Ich bin drin." Sah es anfangs
noch aus wie in Ungarn - kein Wunder, dieser Landstrich war bis 1918
Ungarn - wurden die Straßen zusehends schlechter, die Häuser
in den Dörfern verwahrloster und die Autos auf den Straßen
weniger. Schattige Pappelalleen saugten die Enduros auf, große
Schaf- und Ziegenherden grasten unmittelbar neben der Straße,
während mit eisenbeschlagenen Rädern ausgestattete Fuhrwerke
über den brüchigen Asphalt rumpelten. Bald sollte sich sogar
die gesetzlich vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h
auf Landstraßen aufgrund des miesen Straßenzustandes mancherorts
als zu hoch erweisen. Schwer ächzten unsere Federbeine und Gabelfedern
unter der Last der vollbepackten Maschinen, wenn sich die Anzahl der
knöcheltiefen Schlaglöcher so erhöhte, daß ein
Ausweichen beinahe unmöglich wurde. Mit lautem Rumpeln knallte
dann die Fuhre durch diese materialmordenden Trichter. Und doch haben
die rumänischen Ansiedlungen ihren besonderen Reiz. Neben der
zumeist asphaltierten Dorfstraße schließt sich zunächst
ein schmaler Grünstreifen an, oft mit Bäumen bepflanzt oder
als Vorgarten abgesteckt. Erst dann trennt ein farbenfroh gestrichener
Gartenzaun die zumeist bescheidenen Häuser von der Straße.
Eine Horde schnatternder Gänse, ein paar Schafe oder Ziegen,
manchmal auch Kühe und ein paar Hühner - faktisch die Grundausstattung
jedes ländlichen Haushaltes - halten sich zumeist in der Nähe
dieser Häuser, also auf der Straße, auf. Borlova hieß
so ein Dorf, unsere erste Station, malerisch am Fuße des Muntele
Mic gelegen. Bis 1918 Grenzort der K.u.k.-Monarchie zu Rumänien,
heute Standort der "EnduRoMania", einer nahezu kultigen
Veranstaltung für Hardenduro-Freaks. |
Das Dorf Borlova, Zentrum der EnduRomania-Veranstaltung
und Muntele Mic bei Caransebes
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Obwohl zur Zeit unseres Besuches keine derartige
Veranstaltung stattfand, waren doch unzählige Stollenbereifte
zwecks Training und Ortserkundung zugegen. An allen möglichen
und unmöglichen Stellen trafen wir lehmverschmierte Geländefahrer,
die wie aus dem Nichts durchs Unterholz geschossen kamen. So auch
am Berg Cuntu. Wir hatten gerade unsere zwei Dickschiffe (Honda Africa
Twin) durch einen grobschottrigen hohlwegartigen Steilabschnitt gewuchtet,
als eine Gas Gas mit ohrenbetäubendem Auspuffgeräusch neben
uns anhielt. "Mann, wie seid ihr denn hochgegomm'?" Auf
unser "na, auf dem gleichen Pfad wie du" sprang der gute
Mann von seinem Bock und suchte eine "zivilisierte" Auffahrt.
Ungläubig starrte er unsere Wuchtbrummen an, dann seine dagegen
federleichte Gas Gas und murmelte immer wieder "gibt´s
nich, gibt´s nich". Ja, liebe Bundesgenossen aus dem deutschen
Land. Unsere Vorfahren haben mit ihren eigenen Händen die Alpen
Stein für Stein aufgebaut, wir wissen also, wie man in den Bergen
fährt, der fahrende Untersatz ist dabei nur zweitrangig. Abends
in der Dorfkneipe waren wir dann das Gesprächsthema der EnduRoManisten. |

Unsere Africa Twins in Turnu Rueini. |
In diesem Teil der Westkarpaten findet der Offroad-Fan
ein wahrlich uneingeschränktes Betätigungsfeld. Von Bachbettdurchfahrten
bis zur Holzfällerspur und einem "normalen" Waldweg
wird so gut wie alles abgedeckt. Und der freundliche Förster
bei Turnu Ruieni zeigte uns sogar noch den richtigen Weg, als wir
uns im Gestrüpp hoffnungslos verfahren hatten! Doch wir wollten
ja das ganze Land kennenlernen, darum ging es bald weiter.
Auf der kurvigen Straße nach Resita fühlten wir uns wie
in der Toskana, die gleiche liebliche Landschaft, aber nahezu kein
Verkehr. Resita selber war eine heruntergekommene Industriestadt,
in der sich die rostigen Förderbänder und Druckleitungen
ungeniert mitten über ganze Wohnblocks wölben. Da konnte
uns auch das alte Dampflokmuseum nicht aufmuntern. Dafür lohnte
sich der Besuch der Region Trei Ape. Viele Kurven entlang einiger
Badeseen, immer wieder garniert mit schrecklichen Schlaglöchern
und einigen unasphaltierten "Sonderprüfungen" erinnerten
bis auf die Straße an das österreichische Salzkammergut.
In Anbetracht des Wochenendes waren unzählige Einheimische mit
ihren Zelten an den Seen, campierten, grillten und feierten einen
zögerlichen Anstieg des Wohlstandes seit Ende des Ceaucescu-Regimes
Ende der 80er Jahre. Zwar können sich viele noch keinen richtigen
Urlaub leisten, aber so ein Campingwochenende als Selbstversorger
ist ja schon etwas. Bei jedem Fotostopp sorgen wir für einen
richtigen Volksauflauf, nur die Frage nach dem Preis so einer Maschine
verschweigen wir tunlichst. Einerseits können wir in rumänischen
Lei eine derart astronomische Summe gar nicht aussprechen, andererseits
würden wir uns sofort als westliche Kapitalisten offenbaren.
Also deuten wir auf irgendein Auto, das offensichtlich als Gebrauchtwagen
aus dem Westen gekommen sein mußte. Denn die meisten einheimischen
Autofahrer bewegen einen Dacia, einen in Lizenz gebauten Renault,
den es bei uns allerdings schon seit Jahrzehnten nicht mehr gibt.
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Auf dem 2.140 m hohen Urdelepaß. |
Leider schlug bei Baile Herculane das Wetter um,
es begann zu regnen. Beim Kasanpaß und dem Portile de Fier -
dem Eisernen Tor, einer berühmten Flußenge - an der Donau
goß es so schlimm, daß wir nicht einmal Serbien am andern
Ufer erkennen konnten. Deutschsprechende Fernfahrer teilten uns mit,
daß das Wetter Richtung Bukarest immer schlechter werde, also
nahmen wir eine Kursänderung vor. Über Targu Jiu - nun wieder
im Trockenen - wandten wir uns erneut den Karpaten zu; in Novaci beschlossen
wir, diese über den Urdelepaß zu überqueren. Lt. Karte
eine ganz normale Landesstraße, was bis Rinca auch zutraf. Wegen
eines Bautrupps störten uns vorerst auch die groben Steine nicht,
denn "wo gebaut wird, liegen sie schließlich auch".
Dann jedoch begann sich die Straße in vorerst weiten, später
immer enger werdenden Kehren nach oben zu schrauben. Ausgesetzte Stellen
wechselten sich mit Hangrutschungen ab, und alles mußten wir
mit den vollbepackten Hondas bezwingen. Langsam wurde es warm in den
Kombis, die beschlagenen Visiere klappten nach oben. Immer wieder
mußten wir anhalten, weil Schafherden diese "Straße"
als Weideland in Beschlag genommen hatten oder uns Hirtenhunde zurück
zur Herde bellen wollten. Nach einer bald endlosen Auffahrt standen
wir auf 2.140 m Seehöhe (Rinca liegt auf 340 m, das waren also
1.700 Höhenmeter!) und bemerkten, daß diese Strecke bei
Regen die Hölle sein müsse. Doch Gott sei Dank war es ja
trocken.
Leider nur bis zur 3. Kehre nach der Paßhöhe, dann hüllte
ein dickes Wolkenband die Berge ein, es begann wie aus Kübeln
zu schütten, und die Fahrbahn verwandelte sich in einen schmierigen
Weg, garniert mit rutschigen Steinen. Wie auf rohen Eiern zirkelten
wir die Hondas Kehre um Kehre talwärts, manchmal driftend, manchmal
querstehend. Mitten durch Viehherden, selbst die Hunde verloren die
Lust auf uns. Die Sicht reichte oft keine zehn Meter - vielleicht
gut so - damit sahen wir nicht, wie tief es abwärts ging. Wir
konnten nur ahnen, wie grandios die Landschaft ringsum sein mochte.
Es begann schon zu dämmern, als wir ins Vidratal hinabkamen.
Hoffentlich würden wir eine Unterkunft finden, wir hatten absolut
keine Lust, bei diesem Sauwetter die Zelte aufzubauen. Außer
ein paar wild campierenden Rumänen war weit und breit nichts
zu finden, als sich urplötzlich ein riesiger Betonklotz am Seeufer
aus den Nebelschwaden erhob. Dort zog es uns geradezu magisch hin,
und dort würden wir auch - egal ob bewirtschaftet oder nicht
- unterkommen. Der Betonklotz stellte sich leider als unvollendeter
Hotel-Rohbau aus früheren Zeiten heraus, nur mehr bewohnt von
verwilderten Hunden, die bei unserer Annäherung sofort in wütendes
Gebell ausbrachen. Aber daneben stand ein kleines Gebäude mit
Apartmenteinheiten, ein paar Dacias davor und - es brannte Licht!
Nichts wie hin! Tja, für sage und schreibe 5,- Euro gab´s
zudem ordentliche Zimmer - und die tropfnassen, total verdreckten
Maschinen standen neben der Rezeption und versauten den schönen
Teppich. Es waren nur 9 Personen in diesem Hotel, vier davon waren
amerikanische Tramper, und wir waren zu zweit. Der Wohlstand wird
doch noch ein Weilchen brauchen in diesem Land. |

Hängebrücke bei Vojneasa. |
Tags darauf goß es noch immer in Strömen.
Nach einem ausgiebigen Frühstück mußten wir - bevor
es weiterging - die ganze Pächter-Familie auf den Motorrädern
fotografieren. Daß die Maschinen nun sauber waren, während
der Dreck des halben Urdelepasses im Foyer des Hotels den Teppich
verunzierte, störte anscheinend - außer uns - niemanden.
Durch den anhaltenden Regen war der Vidrabach bedrohlich angestiegen,
und im Dorf Vojneasa standen wir plötzlich ohne Vorwarnung vor
einer äußerst wackeligen Hängebrücke aus Holz.
Alternative gab es wegen des hochwasserführenden Flusses sowieso
keine! Vorsichtig ging ich einmal zu Fuß darüber, die glitschen
Holzbohlen erregten keinen vertrauenserweckenden Eindruck. Außerdem
schaukelte das Ding gewaltig, doch was soll´s. Wir mußten
auf alle Fälle da drüber. Mittlerweile waren ein paar neugierige
Dorfbewohner herbeigeeilt und sahen uns interessiert zu. Plötzlich
machte einer eine Bewegung, so, als würde er ein Lenkrad halten,
deutete zuerst auf sich und dann auf die Brücke. Na, wenn da
ein Auto drüber fährt, können wir das auch.
Vorsichtig zirkelte ich meine Africa Twin auf die Brücke und
zog unter einem ohrenbetörenden rumpelnden Geräusch auf
die andere Seite. Dabei wackelte sie nicht nur in der Fahrtrichtung,
sondern auch von rechts nach links. Drüben angekommen, deutete
ich Erich, daß ich ihn- während ihrer Überfahrt fotografieren
würde. Als ich dann auch Fotos von mir haben wollte, verwandelte
sich diese Aktion in eine wahre Fotosession, sehr zum Gaudium der
Dorfbewohner, die mittlerweile in Kompaniestärke angetreten waren.
Und wieder war einer der deutschen Sprache mächtig und fragte
zögerlich, "daß alle Dorfbewohner wissen wollen, warum
wir diese Brückenüberquerung aus allen Richtungen fotografieren".
Er wollte (oder konnte?) unsere Antwort nicht verstehen, daß
es solche Brücken in unserer Heimat gar nicht mehr gäbe.
Und wenn, wären sie mit einem strengen Fahrverbot belegt.
Nach einiger Zeit weitete sich das Tal. Wir trafen auf eine relativ
gut ausgebaute Straße, das Wetter besserte sich, und es dauerte
nicht lange, als sich die Silhouette Sibius - auf deutsch Hermannstadt
- vor uns abzeichnete. Auf die Besichtigungen der Sehenswürdigkeiten
verzichteten wir großteils. Einerseits waren sie fast nicht
zu finden, da in keinster Weise auf Hinweis- oder Straßenschildern
darauf hingewiesen wurde. Anderseits nervten selbsternannte Parkplatzwächter
bei jedem Stopp mit dubiosen Berechtigungen zum Parken, nicht ohne
zuvor eine astronomisch hohe Gebühr genannt zu haben.
So zog es uns eher nach Ocna Sibiului, wie Salzburg auf rumänisch
heißt. Nun stammen wir beide aus dem österreichischen Salzburg,
folglich sahen wir es als Pflicht an, das siebenbürgische Pendant
zu besuchen. Doch auch diese Visite entpuppte sich als Reinfall. Die
sagenhaften Salzseen erwiesen sich als morastige Tümpel, in denen
Zigeuner badeten. Abermals suchten wir schleunigst das Weite. Mittlerweile
hatte sich die Sonne durchgesetzt und trieb die Temperaturen auf hochsommerliche
Werte, als sich innerhalb weniger Kilometer ein Gewitter zusammenbraute,
das sich binnen einiger Minuten zuerst als Hagelsturm und in weiterer
Folge als tropenartiger Regenguß über uns ergoß.
Im Nu standen die Schlaglöcher und seitlichen Regenrinnen unter
Wasser. Der Verkehr stand schlagartig still, an ein Weiterfahren war
nicht zu denken! |

Im transsyslvanischen Dorf Tirnava. |
Erst nach einer Stunde des Wartens unter einer Dorflinde
setzten wir die Fahrt nach dem Dorf Tirnava in Siebenbürgen fort.
Dort kam ein Arbeitskollege von uns zur Welt, flüchtete aber
später in den "Goldenen Westen". Unter dem Hallo nahezu
der ganzen Dorfbevölkerung suchten wir nach seiner Beschreibung
die Schule, das Wohnhaus, den Gasthäusern usw. Aber nur einige
ältere deutschsprachige Bewohner konnten sich noch schwach an
den Namen erinnern. Katharina Fierlinger war so eine Deutschstämmige.
Nach dem Tod ihres Mannes seien ihr nahezu alle deutschstämmigen
Freunde und Bekannte aus dem Dorf nach deren Flucht in die Heimat
der Urahnen Deutschland verloren gegangen, ihre Häuser von Rumänen
und Zigeunern in Beschlag genommen worden. Sie hatte nicht mehr die
Kraft, wegzugehen, 50,- Euro im Monat seien zum Leben zu wenig und
zum Sterben zu viel. Am meisten bedauerte sie, daß sich seit
der "Wende" - dem Tod des Diktators Ceaucescu - fast nichts
geändert hat. |

Die Wehrkirche in Birthan. |
Nicht weit von Tirnava in Biertan fanden wir in einer
sogenannten Wehrkirche in der ansässigen Pfarre eine Bleibe für
die Nacht. Diese Wehrkirchen, bekannt in ganz Siebenbürgen, wurden
zum Schutz gegen die einfallenden Türken festungsartig ausgebaut.
In ihnen konnten sich die Dorfbewohner im Kriegsfalle verschanzen
und ausharren, bis Hilfe kam. Heute werden die Kirchen von deutschen
Institutionen restauriert und instand gehalten, das Geld von den Touristen
- die hier nächtigen - fließt einem entsprechenden Fonds
zu. Die Wurzeln der deutschsprachigen Bewohner gehen bis ins 12. Jahrhundert
zurück, als der ungarische König Geza II. und später
die Habsburger nach den Türkenkriegen Sachsen hier ansiedelten.
Sieben Landesfürsten in ebensovielen Gemeinden bürgten für
Einhaltung der Gesetze und Aufbau der zerstörten Gebiete, daher
der Name "Siebenbürgen". |

Die Kehren der Transfagarasan. |
Über Fagaras fuhren wir zurück in die Karpaten,
die kurvenreiche Transfagarasan - eine schlecht asphaltierte, aber
landschaftlich sehr reizvolle Strecke - führte uns in die wohl
bekannteste Gegend von Siebenbürgen, oder Transsilvanien wie
es rumänisch genannt wird. Hier soll einst der sagenumwobene,
blutrünstige Graf Dracula gelebt haben! Von hier verbreiteteten
sich die Vampire - Untote, die nur nachts unterwegs sind und sich
von Menschenblut ernähren - über die ganze Welt. Nur, ganz
so stimmt diese Geschichte nicht. Wohl gab es einen Landesfürsten
mit dem Namen Vlad Tepes Dracul, der auch tatsächlich etwas blutrünstig
war. Aber er war einer der wenigen Adeligen, der sich gegen die einfallenden
Reiterhorden der Osmanen, Seldschuken und Tataren zur Wehr setzte.
Als er wieder einmal im Kampf gegen die Osmanen stand, ließen
diese seiner im Schloß Bran zurückgebliebenen Gattin die
Nachricht von seinem heldenhaften Tod zukommen. Worauf diese aus Gram
Selbstmord beging. In sein Schloß zurückgekehrt, schwor
Vlad Dracul grimmige Rache und ließ fortan, wann immer er Osmanen
zu fassen bekam, diese bei lebendigem Leibe pfählen. In kriegerischen
Zeiten soll man muselmanische Krieger zu Hunderten rund um Schloß
Bran aufgespießt in den Wäldern gefunden haben. Heute ist
das Schloß im Besitz eines amerikanischen Industriellen, der
das Gebiet rund herum als Erlebnispark touristisch erschließen
will. Gott sei Dank ist das Land Rumänien von Touristen noch
nicht überrannt, sodaß bisher ein Investor nach dem anderen
absprang. Nach einem Rundgang in dieser Burg lenkten wir unsere Stahlrösser
wieder südöstlich über den Pratovapaß. Unzählige
Kurven und absolut kein Verkehrsaufkommen - das ließ unsere
Herzen höher schlagen; wir gaben unseren Hondas ordentlich die
Sporen. |

Schloß Bran,
angeblich der ehemalige Sitz des Grafen Dracula. |
In Cheia, einem lieblich anmutendem Bergdorf, fanden
wir eine kleine private Unterkunft. Angesichts des angrenzenden rauschenden
Bergbaches empfanden wir beinahe heimatliche Gefühle. So etwas
findet sich auch in unseren Alpen! Beim Abendessen erzählten
uns die Gastgeber, daß der Ort bis 1918 der Grenzort von Ungarn
nach Rumänien gewesen sei, daß hier im 1. Weltkrieg auch
gekämpft worden sei und daß ein später berühmter
Feldherr damals hier war. Erwin Rommel, im 2. Weltkrieg als Feldmarschall
in Nordafrika unter dem Beinamen "der Wüstenfuchs"
bekannt, kämpfte hier als junger Leutnant Seite an Seite mit
Österreich-Ungarn gegen die Russen und Rumänen.
Es gefiel uns so gut, daß wir hier ein paar Tage verweilten.
Ausflüge in die nähere Umgebung mit ein paar Offroad-Etappen
gehörten genauso dazu, wie der Besuch der Schlammvulkane "Vulcani
Noroiosi" von Berca. Doch dann trennten sich unsere Wege, Erich
wollte noch ans Schwarze Meer, während ich mangels ausreichender
Urlaubstage zurück mußte. Mittlerweile hatte sich ein andauerndes
Hoch eingestellt, daher wollte ich durch die Ostkarpaten bis zur ukrainischen
Grenze fahren und von dort quer durch Ungarn heim. Schweren Herzens
nahmen wir Abschied. "Macht's gut! Wir sehen uns zu Hause. Gute
Weiterreise!", dann war ich allein. |

Eine ganz besonderes Naturereignis sind die Vulcani Noroiosi bei Berca. |
Monoton brummte der Motor meiner Africa Twin; durch
den geringen Verkehr kam ich flott voran. Miercurea Ciuc lag bald
hinter mir, der Abstand zwischen den einzelnen Ortschaften wurde immer
größer, so wie die Hautfarbe der Bewohner dunkler wurde.
Hier schienen nur mehr Zigeuner zu hausen. Gleichmäßig
spulte ich meine Kilometer herunter, unterbrochen von Tankpausen,
Fotostopps und dem Umblättern der Kartenausschnitte im Tankrucksack.
Vor Baja Mare wurde das Gebirge etwas flacher, die Wälder lichter;
ich kam langsam in die Nähe der ehemaligen Ungarischen Tiefebene.
Wie der Blitz aus heiterem Himmel fing die Africa Twin zu schlingern
an!
"Plattfuß!", das war mein erster Gedanke. Doch beim
Reifencheck paße alles. "Naja, wird wohl eine übersehene
Spurrille gewesen sein", beruhigte ich mich und fuhr weiter.
Doch die Honda eierte nach wie vor, dazu kam ein böse klingendes,
metallisches Geräusch. "Bei diesen Straßen wird die
Kette wohl etwas schneller verschleißen, wo sie doch im Winter
sowieso fällig geworden wäre", schoß es mir durch
den Kopf. Doch auch die Kettenspannung paßte. Warum hatte das
Rad dann so viel Spiel, und woher kam dieses metallene Geräusch?
Mutterseelenalleine stand ich in der Gegend und baute die Achse aus,
als es mich wie ein Donnerschlag traf: die Achslager sind kaputt!
Und das ausgerechnet hier!
Aus! Vorbei! Ohne Hilfe ging da gar nichts mehr, zudem ich Ersatz
leider nicht dabei hatte! Um überhaupt weiterfahren zu können,
drückte ich ein einige Beilagscheiben auf die kaputten Lager
und zog die Achse wieder fest. Alle paar Kilometer blieb ich stehen
und griff auf die Achse und Schwinge, alles war recht heiß.
Im erstbesten Dorf blieb ich mitten am Dorfplatz stehen, auf Hilfe
hoffend - die ich dort auch erhielt (siehe Vorspann).
Daß diese Reise doch noch mit einem Happy-End ausging, verdankte
ich ausschließlich der Hilfsbereitschaft und Zuvorkommenheit
der einheimischen rumänischen Bevölkerung. Kein Gedanke
mehr an Raub, Hunger oder fehlender Infrastruktur. Im Gegenteil, die
Rumänen erwiesen sich bis auf wenige Ausnahmen als freundlich,
aufgeschlossen und ganz besonders wissensbegierig in Sachen Europäische
Union, wohin sie ja auch einmal wollen. An dieser Stelle möchte
ich noch eine Anekdote zum Besten geben, die mir nach erfolgter Reparatur
etwa 10 km vor der ungarischen Grenze passierte: In Anbetracht der
nahenden Grenze hatte ich die Geschwindigkeit im Ortsgebiet erheblich
überschritten, worauf mich die Polizei anhielt. Als ich dem freundlichen
Gesetzeshüter - der weder deutsch noch englisch konnte - erklärt
hatte, daß sich nur mehr 60.000,- Lei (= 4,- Euro) in meinem
Geldbörsel befänden, gab er mir den Paß zurück,
salutierte auf und ließ mich ungeschoren weiterfahren. Keine
Viertelstunde später hatte ich dieses Land bereits verlassen,
aber es wird mich sicher wieder sehen. |
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© Peter Winklmair |
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